9
Okt
2011

Radio Night

Von der Brettern, die eine Welt bedeuten direkt aufs Vorderdeck: Schnell noch die alte Angst verjagt, die sich kurz von ihrem Lager zwischen den Rumfässern unter Deck erhoben hatte und Nächtens über die Balken taumelte. Frischer Wind ist aufgekommen, wir haben wieder Fahrt aufgenommen und Koordinaten fest gelegt. Jetzt ruhen wir uns ineinander verschlungen aus, gute Aussichten inmitten der sieben Weltmeere. Wir gönnen uns ein Piratenfrühstück, Hirschsteak mit Granatapfel und Chilli, denken um die Ecke und trinken kalten Kaffee.

Und dann kehren wir zurück auf unsere Positionen, er auf die Bretter unter den Bögen, ich auf mein Musenpodest. Endlich ist wieder Freitag. Der Erstgeborene vervollkommnet die "Hundert Jahre", finale Schnitte, sagt er, und doch höre ich wieder neues. Die 1950er dringen aus den Lautsprechern – Wirtschaftswunder mit Werbung und Schlager. So viel von ihm wiederentdecktes und lieb gewonnenes. Und wieder sitze ich auf dem Esszimmerteppich meiner Kindheit. Neben mir der Kofferplattenspieler und die Singlebücher meiner Eltern. Es war einer der wenigen Räume meiner Kindheit ohne Bücher, fällt mir auf, während Chris Howland für Bertelsmann Schallplatten wirbt. Was für eine Gnade, in einem Haus voller Bücher aufzuwachsen, Reader’s Digest am Klo und Zeitungen in der Küche. Bücherregale im Wohnzimmer und in allen Zimmern des Obergeschosse, aufgewachsen, geborgen in Buchstaben. Auch in meiner Wohnung findet sich Gedrucktes in allen Räumen. Ob er sich erst in die Bücher oder erst in mich verliebt habe, wollte eine vom Einen wissen. Oder in die „Hundert Jahre“, de aus dem Küchenradio tönten an diesen ersten Morgen, wie seither stets.

shot_1318094927579

Alle meine Klassiker höre ich an diesem Abend. „Tom Dooley“. Und wieder fällt mir die alte Geschichte ein, als wir dem Schulinspektor unser Lieblingslied vorsingen sollten und ich begeistert loslegte: „Das ist die Geschichte von Tom Dooley aus Tennessee und seinem Ende, er liebte die Frau eines anderen und weil sie nichts von ihm wissen wollte, da erdolchte er sie…“ Ich glaube, ich kam noch bis zu „Morgen da bist du tot.“ Das Lachen der Erwachsenen war mir süßer Beifall. Und „Mylord“, auch ursprünglich auf Deutsch gehört, und nur wenige Jahre später dann im Original, als mich die Piaf neben den Doors und The Clash durch meine Pubertät trug.

shot_1318094981195

Und Brecht, Mackie Messer vom Stückeschreiber selbst gesungen. Und in etlichen anderen Varianten. „Ich liebe dieses Stück“, sage ich zum x-ten Mal an diesem Abend. Das Steve Jobs 1955 geboren ist fällt mir ein, als Oppenheimer über das Atom spricht. „Das war eine Zeit des Umbruchs“, sagt der Erstgeborene: „Da ist so viel passiert, entstanden.“ Ich stimme ihm zu, während mir bewusst wird, dass unsere Zeit, jetzt, mindestens ebenso geschichtsträchtig ist, wie alle Zeiten, nur das Rad scheint sich noch schneller zu drehen. Und während wir darüber sprechen holen uns die Siebziger Jahre des letzten Jahrtausends ein. Die Zeit, in der wir als Idee, Traum, Vision unserer Eltern bereits vorhanden waren, angelegt. Die Radioklänge unserer frühen Kindheit.

shot_1302288279095

Und dann legt er ein anderes Band auf. Eine alte Radiosendung hat er digitalisiert, im Studio die junge Turtle vor zwanzig Jahren, gepresste Stimme und ultracool, fast ein bisschen asthmatisch beim Versuch sexy zu klingen. Und plötzlich bin ich wieder dort, in dem Wiener Studio, am Drehstuhl auf Rädern zwischen Revox-Bandmaschinen,CD-Playern und Plattenspielern. Und das Mischpult mit den vielen Reglern und das Mikrophon. Wir tranken Bier in der Musikredaktion und rauchten im Lager. Irgendwo stand ein Apple herum, meine Moderationen hatte ich mit der Hand notiert und eh im Kopf.

shot_1318096885772

Der Erstgeborene war damals schon dabei, hat mir geholfen, das Mikrophon einzustellen auf extra erotisch-cooles Timbre und die Übergänge zurecht zu schnipseln und andere waren auch dabei…wir erinnern uns, erzählen Geschichten, nennen Namen … sind alle was geworden, sagen wir uns, wir auch – weit haben wir es gebracht. Und noch immer hilft er mir beim Regler schieben und ich moderiere sein Leben.

Ach ja, hört sich gar nicht so schlecht an, die alte "Intensivstation", ein wildes Ding war ich damals, bin ich heute noch, wieder....
1361 mal erzählt

3
Okt
2011

Die Kunst des Lebens

Die Bühne war das Element der jungen Turtle. Schauspielerin wollte sie werden von klein auf und wäre bereit gewesen, fast jeden Preis dafür zu zahlen. Glaubte sie zumindestens, betonte sie wenigstens. Schon als ganz kleine Turtle mit sieben Jahren war sie die Müllerstochter im Rumpelstilzchen. Und auch wenn der noch jüngere Darsteller des trotzigen Zwerges die Bühne wütend stampfend zu früh verließ, die Turtle hatte bereits das Publikum mit einem ergreifend improvisierten Monolog ganz für sich gewonnen. Schriftstellerin war nämlich die andere Option, die sich zur etwa selben Zeit in ersten – und äußerst tragischen – acht bis zehnseitigen Romanversuchen äußerte, unvollendet wie so vieles, damals schon. Aber Schauspielerin. Der Versuch in der der Tiroler Dorfvolksschule die Odysee zu inszenieren scheiterte leider. Doch es folgten Jahre erfolgreicher Krippenspielauftritte, unvergessen der Monolog des Mohrenkönigs über die Diskriminierung aufgrund seiner Hautfarbe.

Und dann schließlich Kellertheater, dort wurde die Turtle erwachsen, das war die Bühne ihrer Frauwerdung, dort waren die Menschen, die sie geprägt, gelehrt haben. Theatervolk, Bühnentiere mit großen Gefühlen in steter Verwandlung. Ach, war es schön zu spielen, ach waren die Feste schön, ein Maskenball mit lauter Volksschauspielern, voll auf der Rolle, Premieren, Dernieren; Applaus, Applaus.

Ich habe meinen Stanislawski gelesen und meinen Max Reinhardt, verstecktes Theater gemacht und von Lee Strassberg geträumt, ich hab sprechen gelernt, gehen gelernt, sogar ein paar Schritte tanzen. Nur das mit dem Singen hat nicht geklappt und mit den Aufnahmsprüfungen an den Schauspielschulen. Also was ganz anderes: Theaterwissenschaft studieren, Regie vielleicht oder so. Als Peymann kam, war ich am Stehplatz mit dabei, die Festwochen waren mir solche, was habe ich Aufführungen gesehen, Strehler und Zadek und Lindsay Kemp und so viele und vieles – ganz großes Theater.

Und dann ist es mir unterwegs verloren gegangen, die Publizistik hat gesiegt, die Medien waren meine neue Bühne, die Spiellust einfach umdirigiert, von Zeit zu Zeit private Dramen. Jetzt darf das alte Zirkuspferd immer öfter wieder auftreten als Moderatorin oder als toll3stes Weib beim Interpretieren eigener und anderer Texte, die Bühne hat mich wieder. Ich fühle die elektrisierende Vorfreude, ich genieße es den Blick durchs Publikum schweifen zu lassen. Schön ist es am Mittwoch bei unserer Lesung in der Buchhandlung. Und ein neues Programm ist schon on Planung

Und zwei Tage später, konnte ich dem Einen applaudieren - schauen Sie sich das an, falls Sie in Wien sind – noch den ganzen Oktober jeden Freitag und Samstag und auch den Rest von MiMaMusch kann ich Ihnen nur ans Herz legen. Weil wir beide Bühnentiere sind, brauchen wir einander nichts vorzuspielen. Wir lieben unser Publikum und nehmen Platz im Publikum des jeweils anderen. Wir lieben den Applaus und spenden ihn auch einander so gerne. Wir lieben die Verwandlung und können uns einander ohne Masken präsentieren. „Wir sind Künstler“, sagt er irgendwann in der Nacht nach der Premiere und ich glaube es ihm. Sehr gerne.

shot_1317406592059

Am nächsten Morgen in der Küche Max Reinhardts Rede über den Schauspieler von 1928: "In jedem Menschen lebt, mehr oder weniger bewusst, die Sehnsucht nach Verwandlung. Wir alle tragen die Möglichkeiten zu allen Leidenschaften, zu allen Schicksalen, zu allen Lebensformen in uns.“Die Stimme des Theatermachers in den 100 Jahren des Erstgeborenen. Ja.

Und abends dann andere auf einer Bühne, ein fulminantes Festkonzert
– lauter Lebens-KünstlerInnen. Ganz großes Theater. Das Leben - und Ihr alle, sein wundervolles Ensemble - hat sich einen kräftigen Applaus verdient.

shot_1317500024233
1499 mal erzählt

22
Sep
2011

Am Wasser

Ich sitze dort und spreche mit dir. Du wusstest immer Antwort auf alle Fragen, die das kleine Mädchen gestellt hat und es hat leider nicht alle gestellt; immer weniger mit den Jahren und immer seltener die brennenden, die wichtigen, die richtigen. Zuviel Angst hatte sie vor deinem Schmerz, deiner Verlegenheit, wenn dich etwas zu sehr berührte. Dass du immer Antwort wusstest, hat auch die Mutter später gerne erzählt: "Und wenn er keine wusste hat er einfach eine erfunden. Aber lange habe ich gedacht, der weiß alles, so naiv war ich..“ Nicht erfunden, darüber nachgedacht, gefunden, erdacht. Ich liebte es wie du zuhörtest und ich liebte es dir beim Nachdenken zuzusehen, den Kopf, den Gedanken wiegend, die grünen Augen suchend und ich mochte deine wohl erwogenen Antworten.

Während ich diese Worte auf den Stufen sitzend in mein kleines rotes Bücherl schreibe, spricht mich eine fremde Frau unvermutet an, blond, ein wenig verweht, betrunken? Ob ich bei dem Licht noch lesen könne, ob ich mich nicht fürchte so alleine, will sie wissen. Und ich verneine, sie wirkt verzweifelt, sehr einsam, weint immer wieder und so lasse ich mich in ein Gespräch verwickeln über die harten rauen Menschen hier und Brustkrebs und die Kraft, die ihr ausgeht.

Oberösterreicherin ist sie und lebt seit mehr als 40 Jahren unter diesen Menschen, mit denen sie sich so schwer tut. Das Fußballmatch am Sportplatz nebenan endet 2:1, wie jemand brüllt. Ich versuche Worte zu finden, spreche von der Kraft, die sie die böse Krankheit besiegen hat lassen, sag ihr, dass sie stolz auf sich sein kann und überlege, wie ich es anstelle, dass ich wieder alleine mit dir und meinen Gedanken sein kann. Ein Auto bleibt stehen. Karma Chameleon tönt laut aus den offenen Fenstern. Irgendwann sage ich ihr dann doch, dass ich gerne wieder alleine sein möchte und sie dankt mir, verabschiedet sich und geht.

Du hättest auch mit ihr geredet, das habe ich von dir. Ich suche auch immer Antworten, auch das habe ich von dir. Und so viel Fragen hätte ich noch an dich. Und manchmal scheint mir du antwortest, dort am Wasser.

shot_1316711951508
988 mal erzählt

21
Sep
2011

Weinseminar

Sie waren mein erster Kurs, zumindest einer der ersten: Kommunikation für BetriebsrätInnen aus dem Reinigungsgewerbe, später dann das Nähkästchen. Weinseminare haben sie diese Seminare damals genannt, weil immer mindestens eine, meist mehrere und oft auch ich, dabei weinen mussten. Starke Frauen sind sie allesamt, jede auf ihre Art, lauter und leiser, immer im Kampf für Gerechtigkeit und gegen die paar Kilos zu viel auf den Hüften. Mütter, Großmütter, mittlerweile sogar eine Urgroßmutter, wir sind alle älter geworden…und wirken jünger, wenn wir gemeinsam schallend lachen. „Lachseminar“, sag ich und sie meinen, dass sie doch gern auch weinen; umnd das tun und taten wir auch in diesen drei Tagen in den Bergen. Gründe dafür haben sie in ihrem Leben wohl viele gehabt, die alleinerziehenden Schwestern, die Betrogenen, Verlassenen, Unterschätzten, Verletzten, aber nur selten haben sie sich die Tränen genehmigt, Tränen der Wut vielleicht, dann und wann, aber die kosten ihren Preis und das sofort. Am Anfang kam ich mir jünger vor als die meisten von ihnen, oft wie eine Art Tochter, heute fühle ich mich wie eine Schwester. Sie haben sich mich gewünscht für dieses Seminar. Ich hätte mir sie gewünscht und hab sie bekommen; sie und so viel Liebe.

shot_1316604741247

Ich vermisse meinen Vater, der heute vor drei Jahren gegangen ist. Mein Leben, Denken, Sein hat sich seitdem verändert und ich weiß nicht, ob er glücklich darüber wäre. Ich bin glücklich und das würde ihn freuen; das wenigstens weiß ich. Er fehlt mir, sehr.

shot_1316622465699
1021 mal erzählt

17
Sep
2011

Alle guten Dinge sind toll3st

Wir tun es wieder, wir lesen wieder, das dritte und letzte Mal mit diesem Programm in Wien in der Buchhandlung Alles Buch, Heimspiel also wieder, mitten im 8. Und eine Buchhandlung geborgen in Buschstaben. Wir freuen uns darauf und auf euch…

20110928ANAnkuendern
904 mal erzählt

15
Sep
2011

Die Mädchen

Wie orientalische Prinzessinen sehen sie aus mit ihren farblich perfekt auf die Kleidung abgestimmten Kopftüchern und den wunderschön geschminkten Augen, die an den Lippen des Geschichtenerzählers hängen, des Korrespondenten aus ihrer Welt. Karim El-Gawhary präsentiert sein „Tagebuch der arabischen Revolution“ in der Buchhandlung meines Vertrauens. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters im Krankenhaus rechts der Isar geboren ist durch seine Berichte und Live-Einstiege vom arabischen Frühling vom Journalisten zu einer Art Medienstar geworden. Er ist Mittler zwischen den Welten Orient und Okzident, er erzählt von Völkern die Plätze besetzen und sich friedlich ihr Land wieder zu eigen machen, die Diktatoren überwinden und für Brot und Würde kämpfen.

Mit neuen Mitteln in einer neuen Welt, so wie die Jugend während der arabischen Revolutionen nutzt er Blog, Facebook und Twitter. Das spiegelt sich auch in seinem Buch und es leist sich wie eine Zeitreise in die ersten Monate dieses Jahres. „Nach dem Raumschiff Enterprise Motto: Scotty beame mich zum Tahrir- Platz“ steht im ersten Kapitel. Und die bildschönene Gesichter der Mädchen in der ersten Reihe, die immer wieder mit ihren Handy filmen und photographieren verwandeln sich in die Gesichter der 16jährigen Ägypterinnen, die aufgebrochen sind. um ihren Platz zu verteidigen und letztendlich ihre Eltern mitgerissen haben. Und er erzählt von dem jungen Muslim, den er gefragt hat, was sich an ihm verändert habe in den Tagen am großen Platz. Und wie dieser wirklich ernsthaft darüber nachgedacht habe und dann erklärt hat: „Früher dachte ich Frauen sind nur für bestimmte Berufe geeignet, jetzt weiß ich, Frauen können alles.“ Da steht ein feuchter Glanz in den Augen der Mädchen.

Es ist nicht die einzige Geschichte, die die vielen, die gekommen sind, um dem Autor nahezu zwei Stunden lang stehend zu lauschen, bewegt. Oft könnte man eine Stecknadel fallen hören, während El-Gawhary von Mut und Freiheit und immer wieder Menschen spricht. Von der jungen Scharfschützin Ghaddafis im Krankenhaus in Tripolis, kaum 19 Jahre und zart und klein, von ihren Tränen und der Frage wie viele Menschen sie wohl getötet hat aus dem Hinterhalt von einem Hausdach, von dem sie sprang, um den Rebellen zu entkommen. Augen begegnen sich, Blicke, wortloses Verstehn, lächeln, nicken, Fremde, Vertraute. Und die diffuse Hoffnung auf eine bessere Welt.

shot_1316032955150

Später dann, nachdem er geduldig Bücher signiert hat, stürmt eine andere Gruppe junger Mädchen den Raum. Sie haben Karim El-Gawhary durch die Auslage erkannt und schon vorher getroffen. „Wie erreiche ich euch, will er von ihnen wissen, die Facebook verwiegern.“ Starke junge Frauen, lauter direkter als ihr Altersgenossinen mit den Kopftüchern, aber genauso neugierig, so interessiert. Nur zwei Burschen haben sie im Schlepptau, eine Mädchengruppe wie die andere, wie so oft. Neugierig, am Weg ins Leben, uralt mit Mitte 20. All die Mädchen und jungen Frauen mit ihrem feuer, ihre Wärme, ihrer Neugier, mit ihren Freundinnen. War ich je eine von ihnen?

shot_1315058227023
1396 mal erzählt

8
Sep
2011

Aus dem Logbuch

Position:

Längengrad: 16.3531771
Breitengrad: 48.2145207

Kurs:

Längengrad: -58.64169359207153
Breitengrad: -34.61233645566241

Ei Pardautz, wir haben ganz schön Fahrt aufgenommen, seit wir die Segel gesetzt haben und in See gestochen sind. Jetzt durchpflügen wir die sieben Weltmeere, gewiegt von weichen Wellenschlägen wälzen wir uns am Vorderdeck in der Sonne und unter Sternen und unterhalten uns schweigend darüber, wohin die Reise gehen mag; wer wie wir tief in den Augen des anderen taucht, ist schwerelos und hört nur den steten Rhythmus des Atems. Wortlose Wortverliebte. Alle Wetter, auch wenn kein Wölkchen zu sehen ist.

shot_1314805120673

Aber manchmal, wenn ich alleine im Krähennest sitze und ganz Kapitänin Ausschau halte nach drohenden Gefahren, krallt sich der kleine, fiese, alte Affe in meine Schulter, rauft mir die Haare und keckert mir ins Ohr. „Piratenmuttchen“ heißt er mich, wenn ich in der Kombüse Hühnersuppe koche für den Einen, der krank darniederliegt; „Piratentussi“ nennt er mich, wenn ich mich zum dritten Mal umziehe, um schön für den Einen zu sein; „Piratenmädchen“, wenn ich voll Herzklopfen mit Schmetterlingen im Bauch und weichen Knien auf den Einen warte; „Piratenschlampe“, wiehert er, wenn ich tätig sehnsuchtsvoll, alleine an den Einen denke. Und manchmal zischt er „Alte Schabracke“ zwischen den kleinen spitzen Affenzähnen hervor und sein Atem stinkt dabei. Verstehe nur ich seine Worte, höre nur ich sein hämisches Lachen? Manchmal habe ich gute Lust dem tückischen Affen den Hals umzudrehen, ihm die Kehle durchzuschneiden, ihm eine Flasche über den Kopf zu ziehen oder ihn einfach über Bord zu werfen…doch dann denke ich an all die Jahre, die er schon zu meiner Crew gehört. Und ich geb dem Affen Zucker und einen aus und stimme in sein Affenlachen ein. „Siehst du“, sag ich und kraule die kleine Bestie: „Keine Wolke am Himmel.“

shot_1315495242471

Und dann geh ich wieder aufs Vorderdeck. Zum Einen.
2082 mal erzählt

30
Aug
2011

Hochzeitstag

Heute wäre unser 15. Hochzeitstag gewesen; jetzt ist es meiner und seiner.

„Immer, wenn wir uns sehen, bist du gerade geschieden oder frisch verliebt“, sagt der Betrunkene am Nachmarkt; Cafe-Latte-Strich nennt der schwule Freund diesen Teil, in dem sich Lokal an Lokal reiht. Ich habe mich verwöhnt mit Friseurbesuch und Sushi und sitze nun mit meinem „Fratellino“ bei Mojitos. Verwundert sieht der mich an, während der Blonde an ihn gewandt fortsetzt: „Wir waren ja miteinander in der Schul…“ und dann an mich: „Also?“ „Beides“, sage ich und lächle und weiß schon im nächsten Augenblick, dass wir unseren neuen, meinen angeblich alten Freund nicht mehr los werden. Ich habe Augenkontakt mit dem Wahlbruder und studiere den Fremden. „Tja, du werst nie gscheiter, wennst wieder allan bist, schreib ma a E-Mail.“ „Tja, wenn ich wüßte an wen?“ Er lallt eine E-Mail-Adresse, Artur „ohne h“, mein blonder Schulfreund, der mir noch nie zuvor begegnet ist. Mein Brüderchen grinst, als sich Blondl an unseren Tisch heran arbeitet.

„Und was ist, wenn des wieder schlecht ausgeht?“, fragt mich der „Schulfreund“ ehrlich besorgt. „Das letzte Mal hats 20 Jahre gehalten“, antworte ich. „Was is passiert?“ "Die Liebe ist entschlafen.“ Er wirkt enttäuscht, er hätte sich mehr Drama erwartet. „Und jetzt wieder verliebt?“Ja, sehr…“ „Und es kann trotzdem schlecht enden… „Wenn die Liebe frisch ist, denk ich nicht ans Ende. Alles endet.“

Er erzählt, dass er aus dem 12. Stock springen könnte und fliegen oder nicht. Er ist sehr betrunken. 17 Jahre habe seine Ehe gehalten. Aber er sei schon lange allein. Und was ich für ein Sternzeichen sei, will er wissen. Steinbock. Oh, er auch. Olivia nennt er mich, Artur Maria, mein einsamer Schulfreund, der an die große und ewige Lieb glaubt und an den Schmerz. 10.000 Jahre ist seine Seele alt und im Himmel gibt es Edelsteine und Kristalle, aber keine Natur. Fratellino und ich bedauern das. „Dafür kann man fliegen und trifft Hendrix.“ Und das bezweifeln wir und stellen uns Hendrix und Co viel lieber in einer gemütlichen Hölle vor, einer Souterrainlokal. Aber die Hölle gäbe es nicht, versichert uns Artur, der neben Ausgeburten der Hölle wohnt, wie er ihnen erst neulich versichert hat. Aber die Wohnung dort am Land, die er mit seinen sechs Katzen teilt sei günstig, deswegen wohnen auch entlassene Strafgefangene, die der Teufel ausgespuckt hat dort neben ihm, der die Jungfrau Maria im Namen trägt. Und über die Liebe reden wir, die Liebe alter Seelen. „Meld dich, wenn du allein bist“, sagt er als wir gehen und „Wie heißt du eigentlich?“ „Olivia.“

Heute war mein 15. Hochzeitstag, Kristallhochzeit, doch das Kristall zerbrochen.

shot_1312886428965

Wie die Zeit vergeht.
1261 mal erzählt
logo

Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

Du bist nicht angemeldet.

Im Bilde

shot_1333314685119

Soundtrack

Aktuelle Beiträge

Nach dem Text fürn Wolf...
Nach dem Text fürn Wolf musste ich schnell diesen nochmal...
viennacat - 14. Aug, 18:30
Danke für Worte die nur...
Danke für Worte die nur von Dir sein können ...
viennacat - 14. Aug, 18:27
Soooo schön und berührend....
Soooo schön und berührend. Danke!
testsiegerin - 14. Aug, 15:07
Pfiad di, Wolf
Bitte Nini, keine Lyrik. Das hast du mir geschrieben...
katiza - 14. Aug, 12:20
Eine Anfrage
Guten Tag, wir gratulieren dir herzlich! Du hast...
just4ikarus - 20. Jul, 15:31

Es war einmal…

Gezählt

Meine Kommentare

Alle Kraft für ihn!
Alle Kraft für ihn!
froggblog - 10. Sep, 11:46
.
.
datja - 18. Jul, 18:34
Lieber Yogi, ein bisschen...
Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
datja - 5. Jul, 14:19
Hauptsach: Österreich...
Hauptsach: Österreich ist geil! Herr Nömix....
noemix - 5. Jul, 14:14
...und dann sind wir...
...und dann sind wir Helden...danke, liebe Elfenhäuslerin...
katiza - 5. Jul, 14:09

Meins

Creative Commons License
Dieser Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Augenblicke

www.flickr.com
Dies ist ein Flickr Modul mit Elementen aus dem Album Ausatmen. Ihr eigenes Modul können Sie hier erstellen.

Suche

 

Status

Online seit 6852 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 14. Aug, 18:30

Credits

kostenloser Counter




...und wartet...
*.txt
An- und Verkündigungen
Augenblicke
Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle
Bilanz
Cinematograph
Der Salon der Turtle
Freitagsfrüchte
Fundstücke
Homestory
In Reaktion
Journal November 2010
La Chanson
Lebens-Wert
Logbuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter

development