22
Jul
2009

Summer in the city

Mir ist heiss...

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508 mal erzählt

21
Jul
2009

Knee Plays

Ich finde meine Knie alles andere als hübsch. Sie sind etwas zu klobig, etwas zu runzlig. Irgendwie erinnern sie an die Knie eines Fünfjährigen, vernarbt und aufgeschunden. Blaue Flecke auf den Schienbeinen. Manchmal taumle ich durch mein Leben, renne an, verlier den Boden unter den Füßen. Daher trage ich nur selten kurze Röcke oder gar kurze Hosen. Umso lieber lange Röcke und Kleider – immer Brecht im Kopf : "Und wähl den bäuerlichen weiten Rock/ Bei dem ich listig auf die Länge dränge:/ Ihn aufzuheben in der ganzen Länge/ An Schenkeln hoch und Hintern, gibt den Schock".

Today is an important occasion
She thinks that she must wear the right clothes
The right combination of clothes
Will make her lucky
But there are specific kinds of luck
And different kinds are needed
For different occasions


Aber heute war ein Tag für das „Küchenvorhang-Kleid“. Ich nenne es so, weil es mich ein wenig an einen Küchenvorhang aus den 50ern erinnert. Es ist ein seidenes Etuikleidchen, hellgrau mit großen orangen und senffarbenen Blumen und grünen Blättern. Es ist so Capri. Und es endet zwei Handbreit über dem Knie, den Knien. Ich habe allerliebste orange Schuhe dazu, die das Farbmotiv der großen Rosen wieder aufnehmen. Und einen Strohhut mit großer oranger Blume. Der soll von den Knien ablenken und das gelingt ihm auch.

She leaves the house
The outcome is certain


Und so bin ich heute in die Stadt gefahren mit meinem kleinen Tretroller und hab unterwegs die Lächeln der Menschen gepflückt.

Und niemand hat mein Knie gesehen, so schnell war ich. Und so Capri.

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678 mal erzählt

17
Jul
2009

God bless the child..

17. Juli 1959: Billie Holiday stirbt völlig verarmt in einem New Yorker Krankenbett an Leberzirrhose. Polizisten stehen vor der Türe ihres Zimmers. Sie gilt als verhaftet.
Sie ist ihnen entkommen. Sie war so alt, wie ich es jetzt bin.

Und auch wenn nicht mehr am Leben, lebt sie weiter. Billie Holiday, von ihrem Soulmate Lester Young „Lady Day“ genannt hat gelebt. Als Elinor Harris wurde sie am 7. April 1915 in Philadelphia geboren. Sie ist in ihrem Leben wohl durch tausend Höllen gegangen, in die ersten wurde sie geschleudert, die anderen betrat sie selbst. Misshandelt und missbraucht als Kind, mit 13 Prostituierte, schlechte Männer, schlechte Angewohnheiten, Alkohol, Drogen, Gewalt.

Und diese Stimme, die all das und noch so viel mehr vermittelt, die von der unendlichen Fähigkeit zu lieben erzählt, egal wie weh es tut, vom immer wieder aufstehen, vom Glück, vom Schmerz, von der Sehnsucht, von der Hoffnung, von der Seele.

Die Jazzsängerin mit der weißen Gardenie
im Haar, hatte die Clubs, in denen sie in den 1930ern auftrat, meist durch einen Hintereingang betreten müssen. Nachgedunkelt haben sie die schöne Frau, damit sie dem weißen Publikum schwarz genug war. Als Billy Holiday es schließlich nach Hollywood schaffte, wurde sie dem Klischee entsprechend als Dienstmädchen besetzt.

Vielleicht war dieses Leben einfach nur leichter im Rausch zu ertragen, der diesem Leben dann das Ende gesetzt hat.

17. Juli 2009:
Vor drei Wochen starb Michael Jackson. Am Rausch und an den tausend Höllen. Auch er schwarz, auch er eine sonderbare Frucht.

Strange Fruit:
Here is a fruit for the crows to pluck,
For the rain to gather, for the wind to suck,
For the sun to rot, for a tree to drop,
Here is a strange and bitter crop.

God bless the child.



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866 mal erzählt

13
Jul
2009

Oh, ein Buch

Meine Neffen sind nicht getauft – sie haben trotzdem wunderschöne Namen, päpstlich der jüngere, beinahe päpstlich der Ältere. In ihren Ursprungsfamilien ist man nicht sehr katholisch im Gegensatz zu meiner Tiroler Heimat. Cousinnichten und –neffen wachsen mit dem Jesukind auf, im Schrank steht die Taufkerze, im Regal die Kinderbibel und in einem Winkel der Herrgott. Als mein Vater starb waren sie sich sicher, dass der Onkel jetzt dort droben über sie wache.

Bei uns hing der Herrgott in einem Winkel im Vorraum und eine schwarze Madonna bewacht den Eingang. Ich kann mich kaum daran erinnern, dass meine Eltern in die Kirche gegangen wären. Die Mutter haderte mit Gott wie mit den Menschen. Beten habe ich von meiner Großmutter väterlicherseits gelernt – „der jüdischen“, wie die Mutter gerne betont. Fast hätten sie sie ins Lager gebracht, damals, als mein Vater Kind war. Als ich ein kleines Mädchen war, saß ich mit sauber gefalteten Händen in einem Bett aus dunklem Holz, das in die Nische des kleinen Eckzimmers ans Schlafzimmer der Großeltern grenzend eingebaut war. „Vater unser, der du bist im Himmel.“ Von unendlichen Schätzen war ich umgeben, „geheiligt werde Dein Name“. Kissen mit flauschigen Hundegesichtern bestickt und Wettertiere. Die für das Kind wunderschönen kleinen Statuetten waren über und über mit Glitzer bedeckt und zeigten durch Wechsel der Pastellfarben einen Wetterumschwung an. „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden.“ Noch mehr Wunder bot der große Schrank im benachbarten Schlafzimmer. Die Großeltern reisten gerne und der Schrank war voll der kitschigsten Souvenirs, deren Glanzstück: eine Madonna von Lourdes, die im Dunkeln leuchtete. „Unser täglich Brot gib uns heute.“ Auch meine winzige Oma faltete die Hände voll Altersflecken und prächtiger Ringe im Schoß. Ich höre ihren Singsang und mit diesem speziellen Tonfall der Betenden hing wohl auch ein Missverständnis zusammen, dem ich lange anhing: „Und vergib uns unseren Schuldi, wie auch wir vergeben unseren Schuldi gern.“ Ich hielt Schuldi für eine alte Version von Schuld und mir erschien es nur logisch, dass die höchste Form der Vergebung jener entspricht, die man gern sich selbst gewähren würde. Der Rest ging schnell: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Gute Nacht Bussi.

Vielleicht habe ich von ihr damals die Kinderbibel bekommen. Ich mochte die Geschichten darin in all ihrer Dramatik und Blutrünstigkeit. Leiden, Sühne, Opfer, Sehnsucht, Schmerz, Liebe, Strafe faszinierten das kleine Mädchen. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich irgendwann Märtyrerin werden wollte, lange bevor Märtyrertum wieder im allgemeinen Sprachgebrauch landete.

Gott gefiel mir – in der Strenge des Alten Testaments – in meiner Kinderbibel fand sich auch die Geschichte von Abraham und Isaac. Der ausgesetzte Moses im Weidenkörbchen führte mich damals ins alte Ägypten, das jahrelang Phantasie und Wissensdurst beflügelte. Und dann das neue Testament mit dem langhaarigen gütigen Jesus, der sich als eine Art gewaltloser Robin Hood – mal von der Tempelhändlergeschichte abgesehen opferte. Quälerei und Spott inklusive. Maria Magdalena beflügelte meine Phantasie, wie sie mir ihrem langem Haar dem Jesus die Füße trocknete. Das kribbelte – irgendwie. Brot und Fisch und die Hochzeit zu Kanaan.

Ich bin schon lange aus der Kirche ausgetreten, den katholischen Glauben hatte ich schon viel früher verloren. Irgendwann in den Teenagerjahren. Den Religionsunterricht habe ich trotzdem bis zur Matura besucht. Altes und Neues Testament stehen im Bücherregal. Ich liebe Friedhöfe und Kirchen. In letzteren zünde ich Kerzen an, wie früher oft mit meinem Vater. Er hat mir zu manchen Abschieden mit dem Daumen ein Kreuz auf die Stirn gemalt. Ich ritze ein Kreuz in die Untersete eines Laibes Brot, bevor ich ihn anschneide.

Der Herr Jesus, der in den Kirchen wohnt, hat den Neffen schon als kleinen Buben interessiert. Während er heranwuchs, wurde mir bewusst, wie sehr mein inneres Kind, das ich gerne zum spielen mit ihm raus lasse, im Glauben ist. Ihm kann ich nicht erklären, dass mein Papa im Himmel ist, dass Jesus zu Weihnachten geboren wurde und zu Ostern gekreuzigt. Es könnte Eltern und Großeltern stören, ihn beunruhigen, verwirren. Der kleine Herr Diplomingenieur sucht keinen Topf voll Gold am Ende des Regenbogens, sondern weiß, dass das eine Spiegelung der Luft ist. Den Herrn Jesus hat er gern besucht, sich neugierig umgesehen und Erklärungen für alles gefordert – wie stets.

Er hat ein Kreuz aufgehängt, hat die Schwägerin erzählt, ganz allein in seinem Zimmer. Ich schmunzle. Ich habe damals viele Kreuze gebaut, in der Märtyrerzeit und Marterln, an jeder Stelle, wo wir uns verletzt haben, zum Dank für die Rettung. Jetzt hängt ein Kreuz im Kinderzimmer. Daran mag wohl auch die ländliche Volksschule schuld sein und sein Integrationswunsch.

Eine Bibel, erklärte ich also dem Liebsten, eine Kinderbibel, wolle ich ihm schenken zum 7. Geburtstag. Dass er’s zuhause hat und lesen könnte, der Lesemuffel, damit er die Geschichten kennt. Diese archetypischen Geschichten unserer Kultur ohne deren Kenntnis – und ich glaube auch, das Aufwachsen damit spielt eine zusätzliche Rolle, sie werden vom Märchen zur großen Metapher – mir Hintergründe so viele einzigartige Werke der Literatur, Musik, Malerei, Bildhauerei, Architektur – auch Popkultur verborgen geblieben wären bis hin zu Four Horseman von Aphrodites Child oder Raumschiff Enterprise.

Also fragte ich die Schwägerin, ob es denn erlaubt sei eine Bibel zu schenken, ich wolle bloß keinen Erziehungskonzepten widersprechen. Erlaubnis erteilt. Bibel erstanden. Empfohlen vom kleinen sympathischen Buchhändler. Mit historischen Erklärungen – so lebten die alten Ägypter – für den kleinen Herrn Diplomingenieur. „Und was wird das richtige Geschenk?“ fragt der liebst und er meint das mit den leuchtenden Kinderaugen, das mit dem man punkten kann als Superonkel, Supertante. Ich erinnere mich an letztes Jahr: Drei Experimentierbaukästen (ab 8 Jahren) für den kleinen Naturforscher, bis heute wohl ungenutzt. „Ein Buch ist ein richtige Geschenk“, insistiere ich: „Die Bibel. Es kommt nur auf unsere Einstellung an.“

„Da ist noch ein Geschenk“, sagt die Schwägerin: „Von Tante und Onkel.“ Er reißt es auf: „Oh ein Buch. Er packt es nicht zu Ende aus. Später, vielleicht.

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775 mal erzählt

12
Jul
2009

Rezepte für einen Freitag

Am letzten Freitag, der ein Mittwoch war, ging ich am Weg zum Erstgeborenen der Sonne entgegen. Gleißend strahlte sie mir ins Gesicht und ich strahlte zurück. Aus dem Augenwinkel konnte ich das eine oder andere Lächeln wahrnehmen, das mir antwortete. Was für ein schöner Abend. Im Arm trug ich ein Care-Paket. Mutterkram: Wein, Salat und selbstgebackenes Brot, sogar ein Gläschen Marmelade.

Die Abende beim Erstgeborenen beginnen für mich meist schon mit der Vorbereitung dieser Gaben. Prokrastination allererster Güte. Ich lege mir seine Brazil-CD auf oder eine der Zeitreisen aus seinem Projekt. Dann verarbeite ich 500g Mehl, 15 g Germ, 300 ml Wasser, drei Esslöffel Olivenöl und 10 g Salz mit der Küchenmaschine zum Teig für eine Focaccia. Je nach Laune variiere ich mit Roggenmehl, Würzblüten oder Kernen. In einer Holzschüssel lasse ich den Teig eine Stunde gehen. Unterdessen schneide ich zwei Avocados – oft Tage vorher gekauft und in Zeitungspapier nachgereift oder jene mit dunkler Schale, Bio, wenn nur irgend möglich – in Würfel. Brasillianische Rhythmen sind wie geschaffen für diese Tätigkeit. Ich liebe es die glatte grüne Schale in der linken Hand zu wiegen, während ich mit dem Messer ein Gitter in das weiche lindgrüne Fleisch schneide, um es dann mit dem Löffel in die Schüssel zu kippen. Ich presse zwei Limetten darüber, eine Daumenmenge fein gehackten Ingwer, geriebene Zitronenschale, eine entkernte Chilischote in Streifen geschnitten, eine Handvoll Gojibeeren, in ihrem Aussehen leicht mit der Chili zu verwechseln, ein kleiner Kick beim Essen. Düfte breiten sich in der Küche aus. Brasil. Die Musik wird schneller. Ich tanze durch die Küche.. Dann schneide ich zwei, drei Selleriestangen aus dem Herzen mit den Blättern in kleine Stücke, zwei Frühlingszwiebel dazu. Schließlich schäle ich die zwei Mangos, säble sie vom Kern und schneide sie ebenfalls würfelig. Den Kern quetsche ich über dem Topf aus, süßer Saft rinnt mir über die Finger, gierig lecke ich sie ab. Jetzt wasch ich mir natürlich die Hände. Dann verrühre ich Himbeeressig, süße Sojasauce und Erdnussöl zu einer Marinade und stelle den Salat in den Kühlschrank. Es bleibt noch Zeit. Um 7 kann ich kommen, smst der Erstgeborene.
Nach einer Stunde verbreitet der Germteig seinen wohligen Geruch in der Wohnung. Er hat seine Größe verdoppelt. Das Backror auf 240 Grad vorheizen. Jetzt ist Handarbeit gefragt. Wieder eine CD – Franzosen bieten sich an - aufgelegt und kräftig drauflos geknetet. Meine bemehlten Finger versenken sich in dem Teig, lassen in wieder in sich zusammensinken, nur um ihn noch geschmeidiger zu machen. Alle Energie fließt jetzt in den Brotteig, bereit sich in Nahrung zu verwandeln, ihre energetische Form zu wechseln. Aus Zorn wird Kraft, aus Schmerz Würze, aus Sehnsucht Wärme. Der Teig wirft Blasen. Vierteldrehung, mit den Knöcheln schieben, zusammen legen, Vierteldrehung. Das Lächeln der Radieschen. Ein Backblech mit Backpapier auslegen und zwei Fladen formen, einen für den Liebsten daheim, den anderen für den Erstgeborenen. Beide Fladen mit Olivenöl zärtlich einbalsamieren, Salz, Pfeffer, Nüsse etc. drauf. Noch einmal eine halbe Stunde gehen lassen.
Dann für 15 Minuten ins Rohr, bis die Fladen goldbraun sind. Eine Handvoll Wasser kurz vor fertig werden rein gespritzt sorgt für eine feine Kruste. Auf einem Gitter erkalten lassen.

So bepackt nehme ich dann stets ein Taxi in mein anderes Wohnzimmer, und auch die Begegnungen mir all den TaxifahrerInnen gehören zu einem echten (falschen und echten) Freitag. Diesmal waren wieder die Fünfziger Jahre dran, knapp vor Fertigstellung „Schreib Master drauf“, bekam ich als Anweisung zur frisch gebrannten CD. 68 Minuten, noch in der Nacht fertig geschnitten, eine Achterbahn aus Musik und Zeitgeschichte, aus Vertrautem und Seltsamem. Weiß-Gespritzter im Glas. Der lachende Vagabund. „Was ich erlebt hab, das konnt nur ich erleben." Draußen ist Sommer. Der muss aber draußen bleiben. Wir sind verreist. In die Zeit als unsere Eltern jung waren - in ihren Zwanzigern.

Später kommt der junge Filmfreund. Verwirrt hört er Seemannslieder, Freddy Quinn & Co - weit weg sind die Fünfziger für ihn. Da ist ihm eine andere Zeit näher, beschäftigt ihn mehr. Von Neuschwabenland spricht er später und den UFOs, dem Thule Kreis und den Mayas und dass sich 2012 das Bewusstsein ändert. Nicht nur Film Noir liegt ihm am Herzen auch Verschwörungstheorien. Nein, an Nazi-UFOs mögen wir nicht glauben, der Erstgeborene und ich und auch ob demnächst die Welt untergeht oder besser wird, ist uns recht egal. Zählt doch das Leben jetzt – und hundert Jahre Musik- und Zeitgeschichte.

Und so hole ich Essen aus der Küche. Der junge Filmfreund mag eigentlich keinen Sellerie. Den Salat mag er, das Brot auch. Wir trinken Rotwein und hören Jazz. „Meine Welt ist bunt.“

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796 mal erzählt

8
Jul
2009

Sommersehnen

Sommer fühlt sich an wie Moosbernocken und Heuschnupfen.
Eine blühende Wiese am Rande des Dorfs, eine nahende Straßenbahn.
Ein aufgeheizter Bootssteg an einem kühlen See.
Ein tropfendes Twinni.
Eine Zigarette nach dem Schwimmen.
Goldene Haare und glitzernde Schweißperlen auf gebräunter Haut.
Ein Biergarten bei München.
Saure Wurst auf einer Almhütte.
Kühles Quellwasser mit der Hand geschöpft und Sauerklee.
Ein Tag versessen vor dem Hummel mit weißen Spritzen und spritzigen Weisen.
Morgens statt duschen ins Meer hüpfen.
Spaghetti und Wassermelone satt.
Elektroboot fahren.
Im Badeanzug im Gewitter tanzen.
Am Lagerfeuer mit dem Feuer spielen.
Nachts im Baggersee baden.
Heiße Hände auf heißer Haut.
Körpersäfte fließen ineinander.
Dort draußen die Stadt lachen und lieben hören.
Im Morgengrauen betrunken heimgehen und die Schuhe dabei ausziehen.
Und küssen, küssen, küssen.

All das und mehr ist lange her.
Wann wird es endlich wieder Sommer?


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586 mal erzählt

4
Jul
2009

Sommerbuch: Fliegen ohne Flügel/Tiziano Terzani

Genoussemousse habe ich nicht nur einige herausragende Rezepte (auch) heimatlicher Genüsse zu verdanken sondern auch eine kleine Reise im Kopf - eine Empfehlungsrallye auf der Suche nach dem Sommerbuch.

Wir waren eine erlesene Reisegesellschaft: Die Lofties on Tour, böse Menschen würden sagen zwischen eso- und hysterisch, aber wir glaubten nicht an böse Menschen. Auf verschlungenen Wegen hatte uns das Schicksal in diesen Tagen zusammen gewürfelt und wir mögen uns noch immer, auch wenn wir uns seltener sehen. Damals teilten wir Tage und Nächte, Brot und Wein, Informationen und Drogen an ungezählten Wochenenden in den Räumen einer alten Kammgarnspinnerei. Aber das tut nichts zur Sache.

Und dann flogen wir gemeinsam auf Urlaub: Acht Personen, darunter zwei Pärchen, darunter der Liebste und ich. Aber auch das tut nichts zur Sache. Eine Woche Malediven, drei Wochen Sri Lanka. Gitarre am Strand. Dieses besondere Licht. Lächeln. Und warmer weicher Regen. Tausend Gerüche. Ein Walhai. Bunte Stoffe. Tempel, Tempel, Tempel. Orange Mönche, junge, alte. Lächeln. Früchte. Elefanten, Buddhas, ein Abend am Klavier, eine bunte Torte, „Mach‘s guat, Teegärten, scharfe Curries, ein Huhn am Fahrradträger, Kinder am Straßenrand, Trommeln am Strand, Freundschaften über alle Grenzen hinweg, Götter und Menschen.

Und immer wieder sehe ich dazwischen ein gelbes Buchcover. „Tiziano Terzani: Fliegen ohne Flügel. Wenn ich das Buch öffne, rieselt noch immer Sand zwischen den Seiten hervor. Das gelbe Cover ist am Rücken verletzt. Erstaunlich wenig Schaden nach der langen Reise. „Eine Reise zu Asiens Mysterien“, lautet der Untertitel des Buches. Gerne würde ich jetzt berichten, wie es mir zugeflogen ist, wie es mich erreicht hat. Eine Geschichte, wie Liebe beginnt, denn es ist ein Lieblingsbuch. Aber daran, kann ich mich nicht mehr erinnern. Es war einfach zu seiner Zeit da. In meinem Rucksack.

Der 473-Seiten Wälzer ist mittelweile längst als Taschenbuch erschienen. Ich hatte damals im roten Bus der uns durch Sri Lanka karrte immer das Hardcover in Griffweite, auch wenn auf den holprigen Straßen vor lauter Staunen über das bunte Treiben auf den Straßen an lesen nicht zu denken war. Manchmal war mir danach abrupt zwischen den Reisen zu wechseln. Jener, die der italienische Spiegel-Journalist Terziani, der vor fünf Jahren an Krebs gestorben ist, ein Jahr lang ohne Benutzung eines Flugzeuges unternimmt und unserer Reise durch die Insel. Buddha, nicht nur am Buchcover, sondern hier wie dort allgegenwärtig. Nachdem ich es ausgelesen hatte, machte es die Runde. Immer dabei im Bus, wie die Wasserflaschen und der CD-Walkman mit Govinda Jaya Jaya. Fanta unser Fahrer, 19 Jahre alt, wenn er’s war, kicherte vor sich hin. Und dann zeigte er uns doch sein Zuhause, die Lehmhütte. Aber ich schweife ab.

Die Prophezeiung eines alten Chinesen nimmt der Journalist Tiziano Terziani zum Vorwand im Jahr 1993 kein Flugzeug zu benützen. Sein Arbeitgeber – der Spiegel - ermöglicht ihm das, er verspricht im Gegenzug auch seinem Job als Südostasienkorrespondent gerecht zu werden. Unterwegs besucht er auch mit Propheten und WahrsagerInnen, Tempel und Hütten, mit dem Zug fährt er 20.000 Kilometer nach Florenz zur alten Mama, mit dem Schiff zurück nach Singapur.

“Jeder Ort ist eine Fundgrube. Man muss sich nur treiben lassen. Sich Zeit nehmen, im Teehaus sitzend die Leute beobachten, sich in einen Winkel des Marktes stellen, zum Friseur gehen und dann dem Faden des Knäuels folgen, der mit einem Wort oder einer Begegnung anfangen kann - und schon wird der unscheinbarste Ort der Erde zu einem Spiegel der Welt, zu einem Fenster, das sich auf das Leben öffnet. Diese Fundgrube befindet sich immer genau da, wo man gerade ist: Man muss nur graben.”

Für mich war das Buch – auch in Verbindung mit der Reise – eine erste Begegnung mit dem Ausatmen. Es entschleunigt, es lehrt viel über das Reisen, das Sehen, den AugenBlick, die Zeit und Südostasien. Und es bietet darüber hinaus eine hervorragende Lektion in Sachen Zeitgeschichte.

Mittlerweile habe ich alles von Tiziano Terzani gelesen und kann nur empfehlen, sich mit Leben und Werk dieses besonderen Menschen zu befassen.

„Ihr müsst ihn eurem letzten Leben sehr gute Menschen gewesen sein“, sagte der Mönch vor dem Felsentempel von Dambulla: „Weil ihr in diesem Leben hierher reisen konntet.“

Ausatmen.

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3097 mal erzählt

26
Jun
2009

Augenblick für Augenblick

Das Leben mit offenem Herzen: Ein Anruf voll Lob und Anerkennung, ein Festmahl – selbst gekocht – Meeresfrüchte auf Rucola mit Ribisel Chili Sauce, ein letzter Schluck von Timotheus, im Fernsehen gleich zwei Mal gutes Programm, erst „Tapetenwechsel“, so französisch wie ein Glas Pernod, dann Almodovars „Volver“, ein fast reiner Frauenfilm, die Männer am präsentesten als tote Täter, Mütter, Töchter, Schwestern, Missbrauch, Tod und Irrsinn, und doch ganz Almodovar, immer ein Lachen und Leben und Farben, was für ein Rot. Penelope Cruz. Ihre wunderschönen Brüste.

Der Liebste kommt heim und erzählt vom silbernen Freund. „Wenn er mit einer Frau reden möchte, richtig reden, du wärst die Beste, die Einzige, hat er gemeint, versteh mi net falsch Oida, reden, hat er gesagt.“ Ich bin gerührt, glücklich und stolz.

Der Nachspann läuft. Farben, Muster und Musik -noch einmal nachfühlen, den Film, nachklingen lassen, die Geschichten, das Rot.

Und dann sagt ein Nachrichtenmensch etwas von Michael Jackson und tot und wir zappen uns durch die Kanäle auf der Suche nach mehr Information. Auf Okto bleiben wir hängen. Ein seltsames Video – „Michael Jackson ist noch länger tot,“ sagen wir uns. „First Fatal Kiss“ heißt die Band, die verzerrt über den Bildschirm punkt. „One day I wanted to be a boy“ – ein Lebensthema, schon seit ich Kind bin. Wenn ich ein Junge wär. „One day I wanted to be a girl“ – Frau sein, wie die Frauen in Volver, eine Frau für den Liebsten, für den Silbernen, zum Reden, eine Frau mit all der Frauenkraft.

Später dann doch noch CNN, der Untote (Michael Jackson dies, CNN has not confirmed), der in Wirklichkeit weder Mann noch Frau war, weder schwarz noch weiß, weder gut noch böse, eine kaputte kranke Kinderseele, die andere Kinder kaputt und krank machte. Erinnerungen an ein Wien-Konzert, der Liebste, damals noch im Dienst der Plattenfirma, VIP-Karten und Einblick in den Livestream, acht Kinder sind aus dem Flugzeug gestiegen, gut versteckt, acht Kinder zum Spielen, er will doch nur spielen, von ihren Eltern verkauft an Macht und Ruhm, an die zerstörte Seele.

Und CNN spielt Thriller. Wie passend, denk ich mir beim Einschlafen. War Jackson doch irgendwie ein Zombie – ein seiner Seele beraubter Seelenräuber.

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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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