Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle

20
Sep
2007

Mops (1)

Tränen schossen in Erikas Augen. Dabei hatte sie vor 30 Minuten noch herzlich gelacht und vor drei Stunden den Mann, der für diese Achterbahn der Empathie verantwortlich war, noch nicht einmal gekannt. Sie genoss den Abend, die Vertraulichkeit, die sich so schnell zwischen ihr und Andreas eingestellt hatte. So als wäre es nicht der erste, sondern der vorläufig letzte einer Reihe von Abenden bei gutem Wein in seiner ebenso gemütliche wie schicken Küche. Aus dem CD-Player versprach Rufus Wainwright "Nothing's gonna change my world" und ihre Welt veränderte sich. Schon seit Wochen war sie neugierig auf den schönen Mann, der neu ins Haus gezogen war. Man grüßte sich gegenseitig, lächelte sogar manchmal, aber mehr hatte sich bisher nicht ergeben. "Jetzt zieht also auch noch eine Tunte bei uns ein," hatte Rudolf gemurmelt und sie hatte sich – wie so oft – über seine Intoleranz und seine Vorurteile geärgert. Gut, Andreas war homosexuell, das wusste sie mittlerweile auch, aber dieses sprachliche Verächtlichmachen. Ohne Tristan hätte Erika den neuen Nachbarn jedenfalls nie kennen gelernt. Der Lift war noch gar nicht los gefahren, da hatten Tristan und Marcel schon Freundschaft geschlossen. Andreas schwarzer Mops hatte das Herz ihres Hundeverrückten Achtjährigen im Sturm erobert. Und so hatte sie ihren Sohn in den letzten Stunden nur dann zu Gesicht bekommen, wenn er atemlos in die Küche stürmte, um zu berichten, was sein neuer Freund eben gerade wieder getan hatte. Rudolf mochte keine Hunde – er war allergisch und hielt auch prinzipiell wenig von Haustieren in der Stadt. Selbst Tristans virtuelle Hundezucht auf dem elektronischen Spielgerät war ihm irgendwie suspekt: "Ist das nicht rosa Mädchenkram?", formulierte er seine Besorgnis ihr gegenüber. Ihm wäre es wohl lieber gewesen, wenn der Bub ein Hit&Run-Spiel gespielt hätte. "Du machst eine Sissi aus meinem Sohn", sagte Rudolf und sie hasste ihn für die Anglizismen.
Andreas schenkte Weißburgunder nach. "Vom Tement, Südsteiermark. Wein und Marcel, das ist mir geblieben von dem Mann, dem ich mein halbes Leben geopfert habe – oder zumindest die zwölf schönsten Jahre…." Er stieß mit ihr an: "Schwamm drüber, Schätzchen, was essen wir jetzt?" Erst jetzt wurde Erika bewusst, dass es bald Acht war und sie ihre Haushalts- und Mutterpflichten komplett vernachlässigt hat. "Ich muss nach Hause", stammelte sie und rief ihren Sohn: "Tri." "Ach, was. Ihr bleibt hier und wir lassen uns was kommen." "Oh, ja", Tristan hatte eben die Küche betreten. Die Aussicht weiter mit dem Mops spielen zu dürfen und dazu noch geliefertes Essen zu bekommen, begeisterte ihn. Rudolf würde das gar nicht passen, dessen war sich Erika bewusst. Er legte viel Wert auf Disziplin und gesunde Ernährung und wäre strikt dagegen, dass sein Sohn erst gegen Neun, satt vom Fast Food ins Bett käme. Und er hatte Recht. Sie waren schon lange genug beim neuen Nachbarn herumgesessen. Nüchtern war sie auch nicht mehr: "Tut mir leid Andreas, wir müssen wirklich gehen." Tristans Gesicht verfinsterte sich, Andreas lächelte sie weiter an: "Und der Wein." "Auch deswegen. Zu viel" "Aber, Marcel", der Bub verfiel in den jammernd-protestierenden Ton, den sie nur schwer ertrug. "Du darfst sicher wieder einmal mit ihm spielen", erklärte sie und warf Andreas einen Hilfe suchenden Blick zu. "Warum kommt ihr nicht morgen zum Abendessen, ihr zwei? Wir könnten uns was auf dem Teppanyaki-Grill brutzeln", sprang Andreas ein: "Ich esse so ungern allein und Marcel freut sich auch, wenn Tri mit ihm spielt." "Bitte – Mama." "Wenn es keine Umstände macht, gerne", sagte sie und meinte es ernst. Dieser Mann war einfach perfekt – fast.
(Fortsetzung folgt)
1000 mal erzählt

2
Sep
2007

Goldfisch (6)

Jetzt wollte sie ihn aufnehmen, wollte ihn verschlingen zwischen ihren Schenkeln. "Komm jetzt, bitte", flehte sie, doch er ließ sich Zeit. Unerträglich lange. Sie zitterte. Nachbeben. Vorbeben. Ihre Hände in seinen Haaren. Sie selbst, weit offen und hungrig. Endlich kam er zu ihr, drang ein, endlich Verschmelzung. Sie nahm ihn auf, sie schlang ihre Beine um ihn. Und wieder vertraut und neu zugleich. Ihre Münder verschmolzen wie ihre Leiber. Sie fanden den Rhythmus wieder. Eine Coverversion, dachte sie, unser Sex ist eine Coverversion unseres Sex – remixed,recovered. Eine gute Coverversion. Er drückte sie fest an sich, sie hörte sein Keuchen, so oft gehört und so lange nicht mehr. Kurz öffnete sie die Augen und zwischen den Strähnen seines Haars, glaubte sie zu sehen, wie Emil sie beobachtete. Sie schloss die Augen wieder und kehrte in den Akt zurück. "I got some friends inside." Jim Morrison mischte sich in ihrer beider Stöhnen. "I want to hear the scream of a butterfly". Und endlich liebte sie ihn wieder. Wellen der Erinnerung überschwemmten sie. Gefolgt von Lust. Der ganzen Lust einer gelebten Liebe. Sie kam, sie explodierte, sie löste sich auf. Er folgte ihr. Erst als sie den vertrauten Laut hörte, der seinen Höhepunkt ankündigte, öffnete sie wieder die Augen. Sie mochte sein Gesicht so, sie hatte es immer geliebt, ihn in diesem Moment anzusehen. Sein Körper verlor an Spannung, sein Kopf sank auf ihre Schulter.

Das Kondom irritierte sie, irgendwie verletzte es sie. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie er es übergestreift hatte. Und jetzt lag es da, sichtbares Indiz einer Coverversion, remixed, recovered, covered mit Kondom. Über ihr das Stiefelfoto. Und plötzlich wurde ihr wieder bewusst, dass das schon lange nicht mehr ihre Wohnung war, ihr Sofa, ihr Geliebter. "Sicher ist sicher", sagte er, als er ihren verstörten Blick bemerkte und es klang gehässig. Sie war verlegen und es fiel ihr auf, dass sie beide nicht mehr rauchten. Schon gar nicht eine gemeinsame Zigarette danach. Sie richtete sich auf. "Danke", sagte sie. "Es war mir ein Vergnügen." Er war zynisch und langsam dämmerte ihr, dass das sein Abschied war. Abschied remixed. "Wann kommt sie?" "Am Dienstag." "Wirst du ihr was sagen?" "Vielleicht." Sie suchte ihre Sachen zusammen. "Du gehst", und es klang nicht wie eine Frage. Angezogen küsste sie ihn noch einmal auf den Mund. "Tschau Ben", sagte sie und "Tschau Emil". Er öffnete die Augen und grinste: "Emil? Das sind Bonnie und Clyde - sie gehören Isa." Erst jetzt bemerkte sie, dass sich zwei Fische in dem Glas tummelten. "Emil ist lange tot", sagte er und sah ihr direkt in die Augen: "Ich habe ihn ermordet als du damals gegangen bist, mit Rotwein besoffen gemacht und das Klo hinunter gespült." Neben der Haustüre standen seine Stiefel, die vom Foto.
"One of these days these boots are gonna walk all over you."
Es war kalt draußen.
853 mal erzählt

1
Sep
2007

Goldfisch (5)

Sie legte den Kopf in den Nacken, als er sich langsam in Richtung ihres Geschlechts küsste. Sie hatte heute lange überlegt, welche Wäsche sie anziehen sollte. Schlichte Baumwolle kam als Sicherheitsfaktor in Frage – damit eben nichts passiert. Aber dann hatte sie sich bewusst gemacht, dass sie wollte, dass etwas passiert. Die neue Seidenwäsche mit BH und Strümpfen hätte das voreilig verraten. Damals wie heute trug sie selten BH. Sie entschied sich für Hosen und eine Seiden-String. An dem war er mit seinen kleinen schnappenden Küssen eben angelangt. Und während er ihr die Hose darüber auszog, leckte seine Zunge am Sliprand entlang. Sie öffnete die Augen. Das Bild über dem Sofa, überdimensionale Stiefel, seine Stiefel, Isas Foto - sie schloss die Augen und hoffte, dass sein Mund bald ihren zweiten Mund berühren würde. Sie verflocht ihre Finger mit seinen Haaren. Und dann legte Jimi Hendrix los – Wild Thing –live in Monterey. "Wild thing, I think you move me". Sein heißer Atem durch die Seide und schließlich, endlich seine Zunge an ihrer Perle. Und wieder spannte sich der Bogen zur Vergangenheit, das Gedächtnis des Körpers, so wie früher war er Hendrix und sie seine Gitarre, bereit zu verbrennen, bereit zu zersplittern. Dann entzündete er sie und sie zerbrach.
(Fortsetzung folgt)
642 mal erzählt

31
Aug
2007

Goldfisch (4)

Während sie sich seinem Kuss hingab, begann Neil Young zu orgeln. Noch berührten sich nur ihre Münder. Zu gerne hätte sie endlich ihre Arme um ihn geschlossen, gleichzeitig genoss sie es aber, ihm die Regie zu überlassen. Ihre Zungen spielten miteinander, neckten einander, umkreisten und umgarnten sich. Und schließlich legte sie doch ihre Hand auf seinen Oberschenkel. Er antwortete nicht, küsste einfach weiter und schon bereute sie die übereilte Geste. "I want to love you but I'm getting blown away". Da endlich legte er seine Hand in ihren Nacken, zog sie an sich heran, unterstützte den Kuss. Sie spürte ihr Herz zwischen ihren Schenkeln schlagen. Der Kuss schmeckte nach früher. Nach "Element of Crime", Regen nach dem Kino und geheimer Liebe am gemeinsamen Arbeitsplatz, nach gutem Rotwein. Das letzte gemeinsame Jahr hatte anders geschmeckt. Nach Bier, Vodka und Cocktails – hätte anders geschmeckt, wenn sie geküsst hätten. Sie drückte seinen Schenkel. Seine Hand in ihrem Nacken zog sie nach hinten, endlich lag sie am Sofa. Und er auf ihr. Seine Hände schlüpften zu ihren Brüsten, begrüßten sie zärtlich, kneteten sie. Der Kuss ging weiter, er löste seine Lippen nicht von ihren. Ihre rechte Hand lag zwischen ihnen, sie strich über seinen Schwanz, der sich ihr durch den Jeansstoff entgegen drängte. Dann öffnete sie die Knöpfe. Er trug noch immer Jeans zum Knöpfen. Ein wenig zugenommen hatte er. Es war alles so vertraut und doch wie ein erstes Mal, vom Hunger her, der Gier, der Dichte.
(Fortsetzung folgt)
567 mal erzählt

30
Aug
2007

Goldfisch (3)

Sie mussten beide lachen, es war ihre Hymne gewesen, als sie damals mit Emil von Udine heimkehrten. Vielleicht war der Song auch der Grund, warum sie sich so sehr einen Goldfisch gewünscht hatte. Sie mochte Bens Stimme – und plötzlich schauten sie sich in die Augen. Und sahen auch gleich wieder weg. Die Pause schien ihr unerträglich lang. Und dann Musik, Style Council, The Paris Match. Es war ihre Kassette in diesem iPod. Da trank sie seine Augen.
Sie fuhr mit dem Glasrand ihre Unterlippe entlang. Sie hatte die Beine angezogen und die Augen halb geschlossen. Er beobachtete sie. Tracy Thorn sang "Empty skies say try to forget/Better advice is to have no regrets". Das Schweigen lastete auf Beiden. Sie tranken. Er kam mit der Flasche aufs Sofa, um ihr nachzuschenken. Er blieb neben ihr sitzen, ganz nah, aber ohne sie zu berühren. Fast glaubte sie seine Körperwärme wahrnehmen zu können. Oder waren es die Wellen seiner Erregung. "The gift you gave is desire/The match that started my fire", er sang wieder, sehr leise. Sie sah auf seine Lippen, er auf ihre. Gleich würden sie sich küssen. Sie schloss die Augen. Ihre Lippen hatten seine nicht vergessen. Sie waren weich für einen Mann, glatt und zart, sanft und vorsichtig seine Küsse. Sie schnappten nach ihr, ganz zärtlich aber doch fordernd und erst nach und nach kam seine Zunge ins Spiel. Leckte über ihre Lippen, drückte sie auseinander, drang ein und erfüllte ihren Mund. Sie hatte seine Küsse immer geliebt. Frauenküsse, hatte sie gescherzt, sie erinnerten sie an die Küsse der Freundin damals, als es galt, das Küssen auszuprobieren, zu lernen zu, üben.
(Fortsetzung folgt)
611 mal erzählt

29
Aug
2007

Goldfisch (2)

Mit dem Sofa war damals auch Emil bei ihnen eingezogen. Sie hatten ihn bei einem schäbigen Luna-Park auf einem Shoppingcenter-Parkplatz geschossen. Dort konnte man Goldfische schießen. In kleinen Plastikbeuteln hingen sie am Budenrand. Sie gaben eine Menge Fehlschüsse ab, bis ihnen der Mann dort halb gnädig den Fisch überließ. Emil wohnte im Waschbecken des Motels, in das sie sich einquartiert hatten, und während Ben am nächsten Tag aufpasste, dass ihm nichts passierte, kaufte sie in einem der Designläden ein überdimensionales Goldfischglas. Mit Emil am Schoß fuhren sie nach Hause. Das Sofa wurde zwei Wochen später geliefert. Es war bequem. Sie hatte selten darauf gesessen, sie war viel unterwegs damals. Auf der Flucht – in der fertig eingerichteten Wohnung war ihr ihr Leben zu möbliert geworden. Ein halbes Jahr später entdeckte Ben ihre Untreue. Sie musste es erst mit seinem besten Freund treiben, dass er ihr endlich auf die Schliche kam. Es gab kaum Anrufbeantworter mehr. Ein SMS erledigte die Sache.

Sie roch am Wein, Kirsche eindeutig und die schöne Farbe. Gerne hätte sie einen Schluck genommen, aber sie wollte auf ihn warten. Er lachte im Nebenzimmer. Es klang verliebt. Viel hatte sich in der Wohnung nicht geändert, abgesehen von den großformatigen Bildern. Mit fast jedem Einrichtungsgegenstand verband sie eine Geschichte: Der Flohmarktsessel, das Regal, die schöne Vitrine aus dem Dorotheum. Isa lebte in Hamburg und würde erst jetzt, bald, schon in den nächsten Wochen, nach Wien ziehen. Sie wird wohl einiges ändern, dachte sie. Zumindest würde sie einiges ändern und sie fragte sich, ob sie Emil behalten würden. Emil in seiner Luxuswohnung, dem geräumigen Goldfischglas mit der schönen Einrichtung. Als sie Ben nichts mehr zu geben hatte, brachte sie fast täglich neue Geschenke für den Fisch mit. Glasmurmeln, Glitzersteine, Kristalle und schließlich eine edle blaue Höhle aus Glas. Sie lächelte ihn an. Dann stand sie auf, um eine CD zu suchen.
Sie kniete vor dem CD-Regal, als Ben endlich den Raum wieder betrat. "Isa", er lächelte verlegen und zuckte mit den Schultern. "Weiß sie von mir?" Er lächelte noch immer, zuckte wieder. "Dass ich hier bin?" "Ja", log er: "Warum auch nicht?" Pause. "Was suchst du?" "Jazz Butcher" "Mhm", er griff zum iPod, sie setzte sich wieder. Sie prosteten einander zu. Der Wein schmeckte. Sie hatte den Song seit damals nicht mehr gehört und doch konnte sie jedes Wort mitsingen. "Girls who keep goldfish/Fascinate my mind/What are they doing here?/Why are they here at all?" Beim Refrain stimmte er ein: "I'd like to know - those fish are awful small".
(Fortsetzung folgt)
796 mal erzählt

28
Aug
2007

Goldfisch (1)

Sie bemerkte Emil erst jetzt. Erfreut über das Wiedersehen erhob das Glas mit dem Rubin Carnuntum in seine Richtung. Rubin Carnuntum vom Markowitsch aus Göttelsbrunn. Ob Ben den für sie gekauft hatte? Hatte er geahnt, dass ihr nostalgisches Treffen hier in der ehemals gemeinsamen Wohnung enden würde? Die schönen Gläser hatte sie ihm noch geschenkt. An ihrer Seite hatte er österreichische Weine zu schätzen gelernt. Als sie sich kennen lernten, war er fast reiner Biertrinker, kaufte er Wein, dann französischen Landwein. So nach und nach überzeugte sie ihn dann mittels der einen oder anderen Flasche aus dem Keller ihres Vaters. Der konnte immer gute Tropfen entbehren. Schließlich wussten seine Patienten über das Hobby des Herrn Doktor Bescheid. Sie selbst hatte viel über Weine und Genuss vom Vater gelernt und dieses Wissen gerne an den Geliebten weiter gegeben. Der erwies sich nach anfänglichem Zögern als gelehriger Schüler. Sie hörte seine Stimme aus dem Nebenraum. Kaum hatte er die Gläser eingeschenkt, hatte sein Handy geklingelt. Er hat den Raum verlassen, um mit ihr zu telefonieren. Mit Isa, der Fotografin, das große Bild über dem Sofa, war von Isa. Das Sofa hatten sie noch gemeinsam gekauft in der Gegend von Udine, wo es die schicken Möbel gab. Es war das letzte Möbelstück, das ihnen noch gefehlt hatte. Dann war die Wohnung komplett – und die Beziehung zu Ende.

Lustig, dass Eva sie beide zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Ausgerechnet Eva, Bens Ex. Die damals zuhause gesessen war, als sie – betrunken, euphorisch, aufgekratzt nach dem Element-of-Crime-Konzert mit Ben – 'Surabaya Johnny' auf seinen Anrufbeantworter gesungen hatte. Anrufbeantworter – wie gut, dass es die nicht mehr gab. Eva hatte sich ihr Liebesgestammel angehört, mehrmals und ihn dann raus geschmissen. Surabaya Ben sozusagen – und sie hatte ihn aufgenommen. Bei der Hochzeit am Samstag haben sie sehr über diese alte Geschichte gelacht, oder zumindest so getan als ob. Dann haben sie sich zu Essen verabredet, für heute, um endlich wieder einmal zu reden. Und sie war irgendwie froh, dass Ben wieder mit ihr sprach. Sicher, sie hatten sich gegrüßt, wenn sie sich zwei, drei Mal im Jahr zufällig über den Weg liefen. Sie hatte mit anderen über ihn gesprochen, sie hatte ihn ausgegoogelt. Zu sagen hatten sie sich aber nichts gehabt, oder besser gesagt, er wollte nicht mehr mit ihr reden. Das hatte er auch zugegeben, heute beim Essen. Aber jetzt gab es ja Isa mit den großen Fotos und den langen Telefonaten. Seine Freundin Isa, durch die der Fluch gebrochen war.
(Fortsetzung folgt)
1188 mal erzählt

22
Aug
2007

Maria Stuart harzte Beine

Vor langer, langer Zeit, in einem anderen Leben, als ich glaubte Schauspielerin zu sein, hatte ich eine Freundin. Sie war die Grande Dame an unserem Theater. Gelernte Schauspielerin, Zuckerbäckertochter aus Krems an der Donau, um die Schauspielschule Krauss zu besuchen, musste sie die Unterschrift ihre Vaters fälschen. Um in der Kleinstadt zu überleben, harzte sie Beine. Sie hatte wenig Haare und viel Herz. Ersteres tarnte sie mit Kopftüchern, letzteres mit Wein. Irgendwann hatte sie den schwulen Theaterkritiker geheiratet, um ihrer Tochter einen Vater zu bieten. Die war mit Einem aus besseren Kreisen liiert. Als sie ihn mitbrachte in die Vorstellung, saß die Mutter mit zerrissenen Jeans an der Kassa. Dass er eine Fimose hatte, wussten wir alle, auch wenn wenn wir nicht all wussten, was eine Fimose ist. "Vorhautverengung", klärte sie uns auf und Schadenfreude schwang mit. "Mein armes Kind", sagte sie und empfand doch die Fimose als gerechte Strafe für seine Arroganz und dafür, dass sie die beiden in ihrem Biedermeierbett ertappt hat. "Überall – aber doch nicht in meinem Biedermeierbett, hab ich gesagt. Mit dem."

Sie spielte "Sie" in Turrinis "Rozznjogd", ein Skandal – "Herzerl, da nimmt er die Pillenschachtel und liest Modimido…." – und der Autor war begeistert. Herzerl nannte sie mich, Herzerl nannte sie uns alle, die ganze Theaterfamilie. Von ihr hab ich gelernt, dass man auch bereit sein muss, die Bühne zu putzen, wenn man das Theater wirklich liebt. Oder eben Beine zu harzen – den nackten Faust hat sie geharzt. "A guater Hund rennt nit davon", hat sie mich gelehrt, als ich heulend im Keller ankam, weil mich der Medizinstudent verlassen hat. Und "The show must go on." Gut hab ich gespielt an diesem Abend, hat sie mir versichert. Einen Sommernachmittag haben wir auf dem Balkon meines Elternhauses mit Wein aus dem Keller meines Vaters verbracht – Wein aus der Wachauer Heimat. Viel Wein und Geschichten über Geliebte und deren Geliebte.

Ihr Geliebter war der Pre, ein Medizinstudent, Bummelstudent und irgendwie übertragen von ihrem Mann geerbt, glaub ich. Mit dem Pre war sie in Marokko – "bei den Murln". Wenn sie betrunken war, verrutsche das Kopftuch und gab eine dünne Krone roter Haare preis. Einmal zu Silvester streuten die Kollegen das Gerücht, das kleine Theater plane "Maria Stuart" aufzuführen. Ganz aufgeregt wurde sie, hellhörig, so gerne hätte sie die Maria Stuart gespielt. Irgendwann bin ich nach Wien gegangen, sie wollte mich besuchen, ich sie anrufen, wenn ich nach Innsbruck käme. Der Pre hätte sein Studium beendet, erzählte mir jemand, und sie sei nicht mehr wichtig in seinem Leben. "Maria Stuart" stand noch immer nicht am Spielplan, den mir meine Mutter regelmäßig zusandte. Und dann stand es in der Zeitung. Ich bin zum Begräbnis gefahren. In Paris beim Frühstück mit Freunden war sie vom Sessel gefallen, Gehirnschlag – oder gebrochenes Herz? Eine Gnade von einem Tod, allerdings nur ein Vorhang. Sie wäre so eine gute Maria Stuart gewesen.
1165 mal erzählt

20
Jul
2007

Cara Mia (3)

Ihr Kopf war schwer, als sie erwachte, ihr Körper klebte vom Schweiß. Noch hielt sie die Augen geschlossen, versuchte sich zu orientieren und die Geschehnisse der letzten Stunden zu rekonstruieren. "Klick" hörte sie und öffnete fast gleichzeitig die Augen. Cara stand neben dem Bett und fotografierte. Lisa wurde wütend. Lachend senkte die Koboldfeenkönigin die Kamera: "Du bist wunderschön." Perlenzähne und Atolle. "Aber…""Schhhhhh." Und Cara küsste sie. Mit schneller, spitzer Zunge. Sie schmeckte gut, heiß und nach Kaffee. Lisa wurde ganz wirr und weich. Sie wollte mehr von dieser Frau, sie wollte diese Frau, aber die Freundin löste sich: "Jetzt fangen wir an. Unten wartet Espresso auf dich. Bitte dusch dich nicht, da liegt ein Sarong für dich."

Wollte sie das, fragte sie sich, während sie die Zähne putzte, den Kuss weg putzte und das pelzige Gefühl. Und was wollte Cara, was war das, würde das werden? Erich fiel ihr ein und sie dachte kurz daran, ihr Handy einzuschalten. Aber dann entschied sie sich dagegen oder besser gesagt dafür, dafür, alles einfach geschehen zu lassen. Die Küsse, die Frau, die Fotos, den Film. Jetzt.

Ihr war heiß unter der Maske. Sie war nackt und arbeitete im Garten. "Klickklickklick" machte die Kamera und auf Lisas Haut mischte sich die Erde mit dem Schweiß. Manchmal stoppte Cara abrupt und küsste sie: auf den Mund, die Brust, ihren Venushügel. Nie mehr. Lisa, deren Beruf und Leidenschaft das Reden und das Fragen waren, schwieg und lies geschehen. Und mit jedem Klick genoss sie es mehr.

Der Pfirsichsaft tropfte von ihrem Kinn, eine Biene flog vorbei. Die Koboldfeenkönigin machte ein Bild nach dem anderen. Nur selten unterbrach sie um den Chip zu wechseln – oder zu küssen. Die Luft flirrte und die Grillen zirpten. Eine Bremse setzte sich auf Lisas Arm und saugte sich fest. Nicht einmal dagegen wollte sie sich wehren.

Und dann Siesta, in den kühlen Mauern. Cara führte sie in ihr Schlafzimmer und bettete sie auf kühle, weiße Leintücher. Alte, dunkle Möbel, durch die geschlossenen hölzernen Fensterläden hörte Lisa das Flirren des Sommertages. Jetzt, dachte sie und wagte kaum zu atmen. Sie schloss die Augen und erwartete Caras Lippen. Ganz weich und zärtlich schnappten sie nach ihren. Mehr, schrie es in Lisas Kopf. Sie selbst beschränkte sich darauf nur zu antworten, zwang sich ihr Becken nicht sehnsuchtsvoll der Feenkönigin entgegen zu strecken, sondern nur gleiches mit gleichem zu vergelten, Kuss um Kuss.

Erde und Körpersäfte hatten die weißen Laken gefärbt. Caras Haut schmeckte salzig, zärtlich strich sie über ihre festen Brüste, kleine Wasserperlen schmückten ihr Schamhaar. Feine blonde Härchen betonten die Konturen ihres Körpers. Diamanten und Gold. Lisas Maske lag am Boden. Sie überlegte kurz, wie spät es wohl war. Draußen, die Sonne, schien tiefer zu stehen. Zeit war egal. In ihrem Kopf hörte sie noch das Echo von Caras Orgasmus: gurrend, rau und gewaltig. Die Freundin öffnete die Augen. Lisa tauchte tief in die Atolle. Das kräftige Lachen ertönte: "Setz dir bitte die Maske wieder auf Liebste." Die Fotografin griff wieder zur Kamera. "Nein, du", bat Lisa und die Koboldfeenkönigin gehorchte. Lisa drückte ab "Klickklickklick".

"Ich schick sie dir – wenn du mir deine Adresse gibst", Cara zeigte ihr die Bilder am Computer. Sie waren beide noch immer nackt und konnten die Finger nicht voneinander lassen. "Ich muss morgen fahren", sagte sie und war ein wenig verlegen: "Ich muss am Montag arbeiten…" "Ich bring dich zum Bahnhof." Also liebten sie sich: im Haus, im Garten, im Teich und in der Küche. Sie aßen, tranken, kifften und küssten. Und lachten.

Sie lehnte sich im Zugabteil zurück und schloss die Augen. Noch konnte sie Caras Küsse schmecken, ihre Brüste bei der letzten Umarmung am Bahnhof spüren, sie sah ihre Augen, hörte die Stimme und roch die Geliebte an ihren Fingern. Erst am Brenner schaltete sie das Handy wieder ein. Neun SMS von Erich. "Ankunft 19:20 – alles OK. LL" tippte sie. Er würde am Bahnhof sein. Der Bremsenstich juckte. "Cara mia", tönte es in ihrem Kopf.

Bildermischmaschine-Love
685 mal erzählt

19
Jul
2007

Cara Mia (2)

Caras Haus war wunderschön. Eine dieser alten toskanischen Villen. Lisa pflückte im riesigen verwilderten Garten Tomaten und Kräuter für Spaghetti. Sie war mitgekommen, weil ihr gar nichts anderes übrig geblieben war. "Du willst diesen Film doch auch erleben", hatte die Koboldfeenkönigin gesagt, als sie in ihrem klapprigen Fiat zum Haus unterwegs waren. Sie hatte das Fenster heruntergekurbelt und summte mit. Soul von der Kassette. "I'm the other woman" sang eine Frau.

"Wir werden morgen früh anfangen", Cara hatte eben ein Spaghetti genussvoll mit spitzen Lippen aufgesogen. Die Tomatensoße malte ihr rote Sommersprossen ins Gesicht. Der schlichte Holztisch war reich gedeckt: die Nudeln in einem großen gusseisernen Topf, eine Tonschüssel voll Salat, halbdunkles Brot, Käse und Prosciutto, ein Krug Wasser und eine Flasche Wein. Kein Tralala-Chianti, dachte Lisa und Erich kam ihr in den Sinn. Der Weinkenner und Chianti-Hasser - rasch verscheuchte sie ihn aus ihren Gedanken.

Was war ihr überhaupt eingefallen? Vor nicht einmal sechs Stunden hatte sie ihren Rucksack gepackt und das "Hotel Antica Torre" verlassen. Und damit auch Erich. Sie hatte endgültig die Nase voll von seiner selbstgefälligen Lebemann-Art. Am Abend zuvor hatte er in der wunderbaren kleinen Trattoria den Kellner schikaniert. Sie hatten deswegen die halbe Nacht gestritten. Oder besser gesagt, sie hatte gestritten. Er hatte versucht, sie zu beruhigen. In der Früh hatte sie dann ihren Rucksack gepackt und war gegangen. Wütend und weinend war sie durch die erwachende Stadt getaumelt. Irgendwann deponierte sie den Rucksack in einem Schließfach am Bahnhof.

Zurück in den engen Gassen der Stadt sah sie die Schuhe. Maßlos teuer und wunderschön. In dem kleinen Espresso neben dem Schuhgeschäft wusch sie sich das Gesicht und trug Lippenstift aus. Man sollte ihr ihren Frust zumindest nicht ansehen, wenn schon der Frustkauf unvermeidlich war. Noch während sie die Schuhe anprobierte kam Erichs erste SMS: "Alles OK? Love E." "Bei mir ja" antwortete sie nachdem sie den Kreditkartenbeleg unterschrieben hatte – dann schaltete sie das Handy aus.

Cara erzählte sie nichts von Erich. Sie wollte nicht wie eine Weggelaufene wirken. Dafür erzählte sie ihr so viel anderes bei der zweiten Flasche Wein: vom Leben, vom Lieben und vom Radio. Bei einem Spliff aus Caras im eigenem Garten gezogenem Gras entdeckten sie, dass sie manchmal dieselben Menschen portraitiert hatten: Lisa im Interview, Cara im Bild, Gianna Nannini und Andre Heller.

Wie schön Caras Stimme war, herb wie der Wein und doch so voll. Nicht zu tief, noch immer sehr weiblich, nur etwas angeraut. Und ihr Lachen, kräftig und voll. Lisa schloss immer wieder die Augen, um den Klang der Frau in sich aufzusaugen. Wenn sie sie wieder öffnete, war sie fasziniert vom Glanz des Mondlichts auf der gebräunten Haut der neuen Freundin. Es war zwei Uhr früh und noch immer heiß. Gerne hätte sie Cara berührt, vielleicht sogar geküsst, aber sie wollte warten, der Koboldfeenkönigin die Regie bei diesem Film überlassen.
(Fortsetzung folgt)

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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Alle Kraft für ihn!
Alle Kraft für ihn!
froggblog - 10. Sep, 11:46
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datja - 18. Jul, 18:34
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Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
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...und dann sind wir Helden...danke, liebe Elfenhäuslerin...
katiza - 5. Jul, 14:09

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