Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle

24
Feb
2008

Totale Sonnenfinsternis: 11. August 1999

Danke Audrii, für das Erwecken dieser Erinnerung:

Es wird leiser, die Bienen sind verschwunden, die Vögel verstummt, einzig die Grillen zirpen. Wie haben es unsere Ahnen wahrgenommen dieses Still-Werden, das für uns an und für sich schon ein Ereignis ist? Konnten sie diese Stille von einer anderen unterscheiden? Hat sie ihnen das Außergewöhnliche vorangekündigt? Spüren wir das Wunder instinktiv? Haben wir es auf unserem Megadatenspeicherplatz Seele bereits gespeichert? Oder ist es uns von Kronen Zeitung und news via Schutzbrille geschenkt? Matrix.

Schnell fährt noch ein Auto einen Hügel hinauf – näher meine Sonne zu dir – Hunde bellen – es wird dunkler – oder es sind doch bloß die Wolken.

Die Sechs der Stäbe - Sieg - Wiedergeburt.

Die Möndin verzehrt den Sonnengottmann. Ein Käuzchen schlägt im Wald an. Sie trinkt seinen Samen, bereit ihn wieder zu gebären, als neuen Tag, als neues Leben.

Ich bin die Sonne und auch der Sonnengottmann – ich bin die Möndin und hungrig wie sie – ich werde wiedergeboren. Ein zweites Käuzchen antwortet dem ersten. Sein kahler Schädel – der Mond – schiebt sich vor meine Sonne und sie vergeht und in diesem Vergehen liegt unendliche Lust. Nach dem Schrei der Sonne, schreit ein Käuzchen.
Urmuttergöttinengefühl – Angstwort Mutter.

Als die Sonne verging und man sie mit der Schutzbrille nicht mehr sehen konnte war da die 13.Tür – das Verbotene der Märchen und Mythen. Der ungeschützte Blick zum Himmel gefährdet das Augenlicht, die 13. Tür ist unverschlossen. Und ich erbebte und der Himmel war ein Zelt. Tausend Farben und wie Sterben und ein einziger Blick, ein einziger nur in den Feuerring und schuldig werden.

Und dann war ich alles und Urmuttergöttin – sein Leib an mich gepresst und ich erbebte und sank auf die Knie. Dann erhob ich mich, starrte in die wiederbefreite Sonne und pisste im Stehen und ich war alles und eins mit der Welt und Ozeane strömten aus mir - ein wogender Strahl – ich wischte meine Scham mit Klee –
Ich grinste.


TatooSoFi2
972 mal erzählt

2
Feb
2008

Finale der Gedichte mit Geschichte

Wunschliste

Ich möchte mit dir trinken
Und streunen in der Stadt
Dann möchte ich niedersinken
Von Wein und Lachen satt.

Ich möchte bei dir liegen
Und fühlen deinen Duft
Dann möchte ich dich besiegen,
dich schnappen hören nach Luft.

Mein Hunger kann nicht enden
Dazu hab ich zu viel
Du hast mich nicht in Händen.
Ich wollt, es blieb ein Spiel

Und doch möchte ich dir geben,
Was ich noch keinem gab,
Etwas von meinem Leben,
Das ich verborgen hab.

Dann Brudertier, dann geh
Lass mich dann bloß allein
Ich will nicht, dass ich seh
In deinem Blick mein Sein.

Fußnote aus dem Hier und Jetzt: Mit dem Brudertier aus diesem Gedicht geht es mir ein wenig wie dem verehrten Herrn Brecht mit Marie A.. Wem genau es die Mock Turtle gewidmet hat, hat sie längst vergessen - einen Hauch von seinem Duft kann sie noch immer fühlen...
558 mal erzählt

1
Feb
2008

Der Mock Turtle lyrische Suite Teil 3

Mit Vorsicht genießen
(Oktober 1989)

Manchmal, wenn wir beieinander lagen
Und ich spürte deine Haut
Wollte ich "Ich lieb dich" sagen
Doch ich sagte es nie laut

Manchmal, wenn wir beieinander lagen
War ich plötzlich auch bereit
Dich nach deiner Lieb zu fragen
Doch ich dachte "bleibt noch Zeit".

Manchmal, wenn wir beieinander lagen
Hab ich darum dann geschwiegen
Wollt ich doch an andren Tagen
Wieder einmal bei dir liegen.


Fußnote aus dem Hier und Jetzt: Wie heißt es so schön in Grimms Märchen von Brüderchen und Schwesterlein: "Jetzt komm ich noch einmal und dann nimmermehr." Die Mock Turtle bleibt euch zwar erhalten, aber mit der exhumierten Lyrik hat es sich bald.
504 mal erzählt

31
Jan
2008

Comeback of the Turtle

Fast ein Sonett
(aus der lyrischen Epoche 1989)

Ich bin in manchem Bett gelegen
Und Betten mussten es nicht sein
Wegen der Lust und auch wegen
Der Wärme und weil man einsam ist allein.

Man sieht die Menschen besser in der Nacht
Bevor der Morgen graut, sollte man gehen
So bin ich neben wenigen nur erwacht
Und nur mehr die kann ich, schließ ich die Augen, sehn.

Die andern sind mir längst entschwunden
Gesichter, Küsse, Hände, Stunden,
Lustgewinn, Kampf und Seelennot,

Der Duft des Schweißes, Geschmack von Haut
Und Worte leise und Schreie laut
All das und mehr ist in mir tot.

Fußnote aus dem Hier und Jetzt: Das haben wir nun davon. Die Mock Turtle holt noch mehr aus den Untiefen Ihres Schatzkästchens. Und das war noch nicht alles....
485 mal erzählt

30
Jan
2008

Mock Turtle lässt grüßen...

Assoziation
(geschrieben vor 19 Jahren )

Ich denk jetzt oft an Brecht
Der schön vom Vögeln schrieb
Und fühl mich dann ganz schlecht
Als Männersprachendieb.

Ich schrieb in 'nem Gedicht
Ich will mit dir ins Bett
Nur Lyrik bringt es nicht
Auch Bumsen ist ganz nett

Ich hab das langsam satt
Gereimte Onanie
Geschlechtsverkehr am Blatt
Doch zwischen Laken nie.

Auch Brecht hätt' nicht gewollt,
Dass eine Frau das tut.
Auch er hätt' mir gegrollt
für meinen schönen Mut!


Fußnote aus dem Hier und Jetzt: Ich weiß schon, es holpert ein wenig und das Exhumieren alter Gespenster in der Öffentlichkeit schickt sich nicht, aber manchmal bin ich machtlos gegenüber dem langgezogenem Seufzen der
Mock Turtle.
892 mal erzählt

6
Dez
2007

Araber (2)

Tina rutschte von Abduls Rücken direkt in Lenas helfend ausgebreitete Arme. Keine von Beiden wusste später, wer mit dem Kuss begonnen hatte. Beide wussten aber, dass sie ihn nicht beenden wollten. Vielleicht auch um nicht darüber nachdenken zu müssen, so wie manche Soldaten nicht wollen, dass ein Krieg endet, um Soldat zu bleiben und nicht Kriegsverbrecher zu werden.

Lena hatte Tina eine Reitstunde auf ihrem Pferd gegeben. Sie wollte der neuen Freundin helfen, die Angst vor den großen Tieren, die Tinas Tochter Sarah so liebte, zu nehmen. Schnell war diese sicherer geworden und hatte sich fast schon ehrgeizig auf den Unterricht eingelassen. Ohne Sattel war sie an der Longe im Kreis geritten, erst im gemütlichen Schritt, dann im Trab und lachend sogar eine Runde Galopp. Sie machte ihre Sache gut, befand Lena, die fasziniert beobachtete wie die schöne Frau sich dem Rhythmus des Tieres anpasste, ja hingab. Nur jetzt, nach fast 50 Minuten, war wieder Angst aufgetaucht – vor dem Absteigen. Und so hatte ihr Lena strahlend die Arme entgegengestreckt: "Spring, ich fang dich auf." Tina glitt vom Pferd, ihre blauen Augen tauchten in Lenas Augen, ihr Haar schwang vor und strich sanft über Lenas Gesicht. Kurz lachten sie Beide und schon berührten sich ihre Lippen, öffneten sich die Münder und wagten sich vorsichtig ihre Zungen vor. Sie waren fast gleich groß und ihre Brüste schmiegten sich aneinander. Abdul blieb ruhig stehen, wie um die Liebenden vor fremden Blicken zu schützen, oder auch vor den Blicken derer, die sie liebten. "Nicht – Sarah. Bitte", stammelte Tina und dieses "Bitte" klang nicht abweisend, nur verwirrt. "Schscht", antwortete Lena. Wieder begegneten sich die Augen. Lena rollte die Longe auf, konzentrierte sich ganz auf das Pferd und versuchte ihre Gedanken zu zügeln.

Es war zwanzig Jahre her, dass sie zuletzt eine Frau geküsst hatte. Marie, wen sonst? Ihre beiden Freunde waren fort gegangen. Männerabend. Und die Mädels blieben zuhause, tranken Martini und blödelten betrunken. Und plötzlich küssten sie sich. Während sie Abdul schweigend zum Stall führte, Tina wortlos an ihrer Seite, erinnerte sie sich plötzlich, wie sich Maries großer weicher Busen angefühlt hatte und fast konnte sie wieder ihrer Martini-Zunge schmecken. Mehr war nicht passiert. Die Jungs waren heimgekommen und Marie und sie hatten nie wieder ein Wort darüber verloren. Nicht einmal ihrem Tagebuch hatte sie davon erzählt. Zu gerne hätte sie gewusst, was Tina gerade dachte, über sie, über den Kuss, den sie doch auch gewollt hatte. So hatte es sich zumindest angefühlt.

Der Hengst spürte die Spannung. Nervös tänzelte er in seine Box. Wieder trafen sich die Augen der Frauen. Lena hätte gerne irgendetwas gesagt, aber was hätte sie sagen können, sollen? So streichelte sie Abduls Hals. Als Tinas Handy piepsend eine SMS ankündigte, erschraken alle drei. Die las, presste kurz ihre Lippen aufeinander, räusperte sich: "Von Sarah, der Ausritt dauert. Sie wird in einer Stunde da sein." "Oh". Und dann küssten sie sich wieder, hungrig, in einer Ecke der Box. Lenas Hände wanderten unter Tinas T-Shirt. Sie spürte die heiße, weiche Haut, die Rippen, den Sport-BH, die kleinen festen Brüste. Und dass ihre Berührungen von der anderen erwidert wurden. Als sie kurz die Augen öffnete, sah sie Abduls Augen. Regungslos stand das Pferd da, wie zum Schutz der Frauen und beobachtete sie. So erschien es Lena zumindest und sie schloss ihre Augen wieder und ließ sich ganz ins Gefühl fallen. Sie spürte auch Widerstand in sich, in der anderen. Tinas Mund löste sich von ihrem. "Ich bin nicht…", sagte sie leise. "Ich doch auch nicht", antwortete Lena: "Ich weiß nicht…""Vielleicht sollten wir gehen." "Abdul, wir müssen uns noch um Abdul kümmern." Gemeinsam putzten sie das Pferd, wieder wortlos.

Erst im Klubhaus fanden sie die Sprache wieder. Zurück in der Menschenwelt. Bei einem Glas Wein warteten sie auf Sarahs Rückkehr. Tina erzählte von Sarah, die langsam den Tod des Vaters verarbeitete. Über ihre eigenen Gefühle verriet sie wenig. In ihren Worten glaubte Lena aber Zorn wahr zu nehmen, als hätte er sie verlassen, als wäre er absichtlich mit dem Auto verunglückt. Vielleicht half der Zorn ja, dachte sie. Sie suchte Tinas Augen und mied sie. Sie betrachtete ihre Lippen. Sie sehnte sich nach mehr Küssen und fürchtete sich.

Als Sarah lachend ins Klubhaus kam, war Lena schuldbewusst und erleichtert zugleich. Und auch Tina schien befreit. Sie umarmte die Tochter. Lena konzentrierte all ihre Sehnsucht auf Walter, der hinter dem aufgekratzten Mädchen bei der Tür herein kam. Er schenkte ihr sein Bubenlächeln und alles schien wieder richtig und gut.
"Wie war die Reitstunde, Mama?" wollte Sarah irgendwann wissen. "Einmalig", antwortete Tina und lächelte Lena an. Und alles war gut.
(Fortsetzung folgt)
572 mal erzählt

3
Dez
2007

Araber (1)

Wie von selbst glitt ihre Hand mit der Kardätsche über das Abduls Fell. Sie hatte das Gefühl, dass sie und der Araberhengst das Striegeln gleichermaßen genossen. Es war ein schöner Austritt gewesen, sie war müde und zufrieden. Sie lehnte sich an die Flanke des Pferdes und sog den Geruch ein. Dann legte sie ihre Arme um seinen Hals. Er war Lenas Lebensmittelpunkt seit der Scheidung von Gerhard. Und nach Meinung einiger Menschen wohl auch schon vorher. "Kein Wunder, dass er sich nach Alternativen umschauen musste, du hast ja gerochen wie ein Stallknecht", meinte ihre Mutter damals wenig tröstend und auch Marie – die wohlriechende Alternative – erklärte ihr relativ unverblümt, dass sie selbst schuld sei und Gerhard durch ihr, Lenas, Verhalten selbst in ihre, Maries, Arme getrieben habe. "Lena, wir waren immer Freundinnen und Freundinnen müssen ehrlich miteinander sein", versicherte Marie, nachdem sie sie schon drei Monate lang mit ihrem Mann betrogen hatte. Marie, die Gute, mit der Lena damals mit 12 die ersten Voltigierstunden absolviert hatte, ihre Banknachbarin in der Schule und später in der Pädak, die tüchtige, saubere Marie, die selbst erst vor fünf Jahren von ihrem Mann, dem Uniprofessor wegen einer Studentin verlassen worden war. Ganz mies von ihm, hatte Lena ihr beigepflichtet, wenn sie sie tröstete – und das war damals jeden zweiten Tag notwendig. Aber jetzt war alles anders, Marie war in der Ausbildung zur Psychotherapeutin und Lena selber schuld. "Und immerhin finanziert dir Geri dein Hobby, den Gaul", kam es von der Ehrlichen und: "Ich bin so froh, dass wir darüber offen reden." In Lena stieg offener und ehrlicher Hass auf - auf die Freundin fast noch mehr als auf den Ex, der ihr in all den Jahren immer weder versichert hatte, wie sehr ihn Marie nerven würde: "Und könntest du mir bitte sagen, sie soll mich nicht immer Geri nennen?"

Sie hatten sich wohl verdient, tröstete sich Lena, wenn sie sich einsam fühlte. Und sie hatte immerhin Abdul, weswegen sie sich selten einsam fühlte. Und dann war da noch Walter, den sie beim Pferdeflüster-Seminar kennen gelernt hatte. Seine Augen waren ihr gleich aufgefallen, dunkelbraun und sehr intensiv, fast zu alt und wissend für sein Bubengesicht. Und dann die Stimme, auf deren Flüstern nicht nur Pferde reagieren mussten, auch die kleinen Härchen ihre Körpers richteten sich bei jedem seiner Worte mehr und mehr auf. Als sie am zweiten Abend einen Leinsamenbrei für Abdul kochte, stand er plötzlich hinter ihr.

Er war annähernd gleich groß wie sie, seine blonden Haare waren struppig und er roch angenehm nach Pferd und Natur. Als sie ihre Hand in den Futterkübel tauchte und die Temperatur zu testen, tat er es ihr gleich. Er ließ sie keine Sekunde aus den Augen und auch sie musste seinen Blick erwidern. Ihre Hände fanden sich in der warmen schleimigen Masse, kurz bevor sie sich küssten. Die Art und Weise, wie er ihren Bewegungen folgte, wie seine Hand sich an ihrer orientierte, sich ihre Finger in der glitschig-warmen Leinsamensuppe ineinander verschränkten, seine Zunge den Rhythmus ihrer aufnahm, war neu für sie. Wie ein Tanz, ein Dialog. Dann löste er sich von ihr. "Genau richtig", sagte er und sie spürte wohlige Schauer: "Du solltest ihn jetzt füttern." Er lächelte. Sie hatte weiche Knie.

Sie nahm den Kübel und ging zur Box ihres Pferdes. "Ich warte hier", hörte sie ihn. Sie drehte sich nicht um. Lena kam rasch wieder und er schloss die Türe der Sattelkammer hinter ihr. Dann küssten sie sich wieder und sie presste ihren Unterleib an seinen. Nur allzu deutlich konnte sie seine harte Männlichkeit spüren und rasch – viel zu rasch – öffnete sie seine Hose und griff nach dem, was sie begehrte. Er neigte sich ihr entgegen, ohne etwas an der Intensität seines Kusses zu verändern, ohne sie seinerseits zu berühren. Er überließ ihr die Führung. Das war sie nicht gewohnt, genoss es aber und wünschte sich gleichzeitig nichts mehr, als sich ihm ganz hinzugeben. Kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, spürte sie seine Hände auf ihrem Arsch. Er umfasste ihr Backen, griff fest zu, beinahe schmerzhaft, aber genau so wollte sie es und während der Kuss wilder und wilder wurde, hob er sie etwas an und spreizte ihren Schritt. Während er sie gegen einen Sattel drückte, schlang sie das rechte Bein um seine Hüfte. Nur die Geräusche draußen im Stall verhinderten, dass sie sich damals an Ort und Stelle liebten.
Lenas Sehnsucht blieb, wuchs sogar und sollte erst Wochen später gestillt werden.

Abdul stieß sanft mit dem Kopf nach ihr. Der Hengst schien ihre Erregung, ihre Aufregung zu spüren und sie konzentrierte sich wieder auf ihn. "Ist schon gut, Bub, hab dich lieb", versicherte sie dem Tier und wusste, er verstand. Kurz überlegt sie, noch auf einen Drink im Klubhaus vorbeizuschauen. Walter war sicher dort. Da bemerkte sie Tina, die ihr am Weg zum Parkplatz aufgeregt entgegen kam. "Könnten Sie mir vielleicht Starthilfe geben? Mein Auto…" Sarah, Tinas Tochter, stand neben dem Wagen. Ein bildhübsches Mädchen, das die Schönheit der Mutter geerbt hatte. Sarah nahm Reitstunden. Ihr Vater, Tinas Mann, war vor kurzem gestorben. Die beiden suchten Trost im Reitklub, hatte Lena aus einem Gespräch mit Tina geschlossen. "Einen Moment, ich hol das Starterkabel", beruhigte sie die aufgeregte Frau: "Waren wir nicht per Du?" Als Lena Tinas Verlegenheit wahrnahm, tat ihr diese Frage gleich wieder leid. Die Nervosität der anderen war fast körperlich spürbar. Sarah hingegen strahlte sie an. Rasch sprang der Renault wieder an, aber nur langsam verebbten Tinas Entschuldigungen und Dankbarkeitsbekundungen. Sie verabredeten sich schließlich für den übernächsten Tag auf einen Kaffee im Klubhaus. Tina lächelte sie noch einmal dankbar an, während Mutter und Tochter los fuhren. Was für ein wunderbares Lächeln.
(Fortsetzung folgt)
609 mal erzählt

1
Nov
2007

Spiegelsuite

Er war ein kluger, deutscher Jung. Sohn eines Universitätsprofessors, Hamburger Bürgertum, eine gute Familie, vielleicht sogar adelig, viel Buddenbrooks in der Luft, Intellektuelle, Bildungsbürger. Piefke zwar, aber keine lauten. Bereit sich den Tirolern anzupassen, nur sprachlich nicht. Hochgewachsene Menschen, etwas blutleer. Der Sohn intelligent, näselnd, ein wenig affektiert, ein wenig spießig, ein wenig Streber, uncool und pubertierend-geil, die Tochter, zwei Jahre älter, lieblich und doch smart, fast wie aus wie die Mädchen, in den amerikanischen Serien, die wir damals noch nicht sahen. Später dann in der Kosmetikbranche. Wir tranken Gspritzte und Rotwein und fühlten uns als Existentialisten. Er war bieder, die Mock Turtle schon ein schlimmes Mädchen, wenn auch mit klassischem Anstrich, erste Theaterkontakte. "Die Hölle das sind die anderen". Er hatte schrecklich viel gelesen. Ich auch.

Ich liege mit geschlossenen Augen auf der Hofgartenwiese. Ganz im Panzer zurückgezogen. Irgendjemand klimpert "The Boxer" auf der Gitarre. Achtklassler, steht auf eine Freundin. Ich rauche. Zu sehr Sommer fürs Kaffeehaus oder wegen Renovierung geschlossen. Plötzlich näselnd eine Gegenwart mit spitzem, Hamburger S: "Hast du Kierkegaard gelesen? Tagebuch eines Verführers?" Da wusste die Mock Turtle, dass er verknallt war. Und dass er keine Chance hatte.

Im Herbst dann drei Tage Wien – Toleranzgespräche – wir waren auserkoren, drei G'scheiterln aus der Schule: der tiefkatholische Sohn des Altersheimdirektors, der Jung und die Mock Turtle. Sir Karl Popper sprach und Jeanne Hersch, Zürich brannte, wir feierten endlose Zimmerparties im Europahaus und tranken billigen Wein, waren im Bermuda-Dreieck und im U4. Ich und drei, vier schlaue Kerlchen aus ganz Österreich. Der Jung immer dabei. Intellektuelle Balzkämpfe. Hirnweitwichsen. Dalli Dalli. Möglichst viele Autoren. Keine Männer, bloß intellektuelle Buben, schwitzend, pickelig und geil. Ich das einzige Mädchen. Ein jeder wollte der Steppenwolf sein und ich sollte ihre Hermine sein. Dafür bekam ich rote Rosen im Roten Engel. Der Sohn des Altenheimdirektors blickte mich beim Frühstück besorgt an.

Am Tag sprachen dann die großen Geister in der Akademie der Wissenschaften weise Dinge, die wir in der Nacht mit Camus und Hesse zu verstehen versuchten. Der alte Otto Schulmeister moderierte intolerant. "Sind Sie Österreicher?", fragte er den jungen Mann mit der dunklen Hautfarbe, der sich zu Wort meldete. Ich war empört, und hatte gleich ein wenig weniger schlechtes Gewissen, dass ich weite Teile der Diskussion verschlief oder schlicht nicht verstand. Ich durfte das, ich war Hermine, ich war ein schlechtes Mädchen.
Den letzten Tag verbrachte ich Händchen haltend mit einem 80-jährigen Pfarrer, der in Brasilien lebte und mit Hilfe eines mitgebrachten Kassettenrekoders den Donauwalzer spielen wollte. "So eine Veranstaltung muss mit Musik ausklingen." Wir wurden Freunde und ich hab ihm nie erzählt, dass ich an seinen Gott nicht glaube. An keinen – Atheistin, Existentialistin, aber/und tolerant. Zu wenig Hermine. Er hat einmal eine Hausmesse mit meinen Eltern und mir gefeiert. Diskret hat er uns durch die Riten geführt, die uns doch allen dreien irgendwie fremd waren. Mein Elternhaus ist nicht sehr katholisch. Und doch waren sie stolz auf mich und meinen Priesterfreund mit der großen Marienliebe.

Ich trank und flirtete und ließ mich anfassen von dem Jung. Und dann ließ ich ihn leiden. Er küsste zu nass und hatte lange dünne, ungeschickt Finger, er sagte die falschen Sätze, schaute zu bettelnd und ich wahrscheinlich wollte ich ihm nicht zugerechnet werden.

"Du bist doch nur ein Spiegel mit hübschem Rahmen", zischte er mir über den Tisch im Stadtcafe entgegen: "Du hast doch gar keine eigene Persönlichkeit, du spiegelst nur." Ich war verletzt. Ich wollte Persönlichkeit sein, kein Spiegel. Und quälte ihn noch mehr. Andere auch und am liebsten die schlauen Kerlchen. "Ich aber liebte den Narziss, weil ich in seinen Augen meine Schönheit sah, Oscar Wilde", stand in lila Tinte auf einem weich gelesenen Zettel in meiner Geldtasche. "Aber wissen ob man seine Leidenschaften leben kann, wissen, ob man ihr tiefstes Gesetz – nämlich das Herz zu verbrennen, das sie gleichsam in Begeisterung versetzen - akzeptieren kann, das ist die Frage. Camus" stand auf einem anderen Zettel, Kugelschreiber.

Der Hamburger Jung ist Anwalt in Frankfurt. Der Sohn des Altenheimbesitzers ist in letzter Zeit öfters im Fernsehen und immer noch streng und gerecht. Sir Karl Popper lebt in seinen Worten Jeanne Hersch ebenso. Den Kontakt zu dem alten Priester habe ich abreißen lassen. Irgendwann dann wohl auch den zu Hermine. Und Ich bin nur ein Spiegel.

"Wir gewöhnen uns ans Leben, ehe wir uns ans Denken gewöhnen. Mythos von Sisyphos", steht im Schatzkästschen der Mock Turtle. Microsoft Tastatour, schmutzig.

Ach ja, Danke Dr. Schein.
990 mal erzählt

19
Okt
2007

Mops (13)

Rudolf liebt Hiros Avocado-Mango-Chili Maki. Andreas ist verrückt nach dem Chirashi des jungen Japaners und Erika bleibt es vorbehalten, Hiro morgens mit ihren Lippen zu wecken. Der angesagteste Sushi-Koch der Stadt steht schon seit Stunden in der Küche. Neben ihm schnitzt Rudolf an den Avocados, Andreas mixt einen Manhatten für Erika und sich. Tri spielt mit Murasaki. Hiro hat ihm den Welpen zum 1. Rang im Aikido geschenkt. Das Mops-Mädchen ist entzückend und Tri begeistert.

Sie hatte sie sich Genji verabredet. Sie wollte nicht verzweifelt zu Haus sitzen und ihr Schicksal beweinen. Erika wollte leben. Also traf sie sich mit ihrem Wortgeliebten im SEI, dem neuen In-Lokal. Sie fieberte dem Abend entgegen und sie genoss die Vorbereitungen. Tri war bei Ruth. Sie nahm ein ausführliches Bad, brachte ihr Schamhaar in Form, ölte ihren Körper. Es tat ihr gut, sich begehrenswert zu machen, sie war zärtlich zu sich, bemüht, sich zu lieben. Er hatte ihr Wäsche geschickt, drei Garnituren, der Märchenprinz aus dem Netz. Er überließ ihr die Wahl der Waffen: mädchenweiß mit Spitzenbesatz, ein Hemdchen, Shorts, Seiden-Stay-Ups, rot-schwarze Corsage und was strenges asiatisch Gemustertes, Strapse und Strümpfe für beide. Sie probierte alle drei an. Er wollte ihr auch Schuhe schicken. Das hatte sie verweigert. Nur in ihren eigenen Schuhen wollte sie auf eigenen Beinen stehen. Die Wäsche war edel, teuer, sie fühlte sich gekauft, teuer – wertvoll. Auf den Lippen verbotenes Rot – Rouge Interdit.
Sie betrat das Lokal und er sah gerade auf. Ihre Augen begegneten sich. Jetzt war sie davon überzeugt, dass sie wirklich gut aussah. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie je zuvor so wahrgenommen worden war. Fast konnte sie die anerkennenden Blicke körperlich fühlen und seltsamerweise empfand sie weder Scham noch Unsicherheit. Die Wäsche, ihr Kleid, ihre Schuhe trugen und stützten sie. Sie hatte Haltung.
Genji war haltlos. Wie er da saß, wie er sprach, wie er aß, wie er trank und wie sie noch feststellen sollte, wie er vögelte. Umso faszinierender war der Koch, in dessen Augen sie sich beim Betreten des Lokals gespiegelt hatte. Genji hatte einen Platz direkt an der Sushi-Theke reserviert. Sie beobachte fasziniert die schnellen und präzisen Bewegungen der perfekt manikürten Hände des attraktiven Asiaten mit dem Wiener Schmäh. Hiro kontrollierte das Lokal ergänzt von seiner Schwester Aoko, die ihm gegenüber eine Suppen-Insel bekochte und bediente. Das Lokal war in Yin und Yang geteilt, heiß und kalt. Es war fashionable, aber nicht wirklich ideal für ein Date. Genji suchte den Wein aus. Sie tranken Sauvignon Blanc von Sabathi aus der Südsteiermark. "Wunderbar für Motorradtouren die Gegend", er sprach ununterbrochen, berührte, nein, begrapschte sie. Sie ließ es geschehen, das Reden, die Berührung, sie war gewillt diese Nacht einfach geschehen zu lassen. Er genoss die exhibitionistische Atmosphäre. Sie weniger, aber das hing wohl auch ein wenig mit der Anziehungskraft des Kochs zusammen.
Natürlich schliefen sie miteinander und abzüglich aller moralischen Bedenken, die sich trotz (und auch wegen) heftigen Konsums von Alkohol und anderen Drogen einstellten, war es Erikas wildeste Nacht. Der Sex mit Genji damals war Sex pur, befreit vom Mäntelchen der Liebe und ohne jegliche Aussicht auf eine Zukunft. Dafür mit großer Vergangenheit – lange genug hatten sie sich verbal Lust bereitet, so wussten sie über die wechselseitigen Vorlieben und Sehnsüchte Bescheid.
Als Erika im Morgengrauen ins Taxi stieg, war sie wund zwischen ihren Schenkeln, die Beine taten weh und überall trug sie Male der Lust. Sie fühlte sich großartig. Ihr letzter Gedanken vor dem Einschlafen galt dem asiatischen Koch und seine perfekten Händen. Ihre eigene Hand auf ihrer müden Muschel schlief sie ein. Nicht einmal eine Woche später war sie mit Ruth im SEI. An Hiros schmutzigem Grinsen merkte sie, dass er sie wohl wieder erkannte. Drei Monate später war er bei ihr eingezogen.

Es läutet. Wahrscheinlich Rita und Leo. Sie fehlen noch, um die Tafelrunde komplett zu machen. Erika springt auf, um der Freundin die Türe zu öffnen. Sie rutscht fast auf Murasakis kleiner Verlassenschaft aus. "Tritt ins Glück", lacht Andreas, die anderen stimmen ein. Kurz trifft ihr Blick Rudolfs, sie lächeln sich an und sie liebt ihn in diesem Moment mehr als während ihrer ganzen Ehe. Hiro küsst sie in den Nacken und Tri kugelt am Boden und lacht Tränen. Es wird Zeit die Türe zu öffnen.
Das Leben ist wunderbar – in ihrem Universum.
(Schluss)
571 mal erzählt

15
Okt
2007

Mops (12)

Es war wie in einem schlechten Film. Erika war in die Tiefgarage gegangen, um den Müll wegzuwerfen – auf dem Weg zu Ruth, wo sie Tri abholen wollte. Er wollte heute noch mit Marcel Gassi gehen und später mit seinem Vater ins Kino. Sie war abgelenkt und formulierte in Gedanken ein Mail an Genji. Warum sie rüber zum Familienauto schaute, blieb ihr ein Rätsel. Als sie die Bewegungen darin wahrnahm, war sie irritiert. Rudolf hatte schon vor einer halben Stunde das Haus verlassen und es war auch nicht sein Kopf, der sich da an die Scheibe drückte. Dass sie sich anschlich, war ebenso lächerlich wie unvermeidbar. Sicher, sie hätte auch Lärm schlagen können, aber es lag eher in ihrer Natur, sich erst Klarheit zu verschaffen. Seltsamerweise war sie beruhigt, als sie Andreas erkannte und erst später verwirrt. Dann fragte sie sich, was er in ihrem Auto tat und woher er die Schlüssel hatte. Und dann begann die Zeitlupe.
Wenn der Fluss der Erkenntnis zu strömen beginnt, dann oft in slow motion. Langsam, unendlich langsam, erkannte sie ihren Mann in seinem Schoß. Und gleichzeitig bewegte sich der Strom ihrer Gedanken fast forward. Bilder blitzten auf, Puzzelteile fügten sich zusammen, Worte fanden sich. Und in Sekundenbruchteilen erlebte sie die ganze Palette ihrer Gefühlswelt. Während all dem blieb sie wie angewurzelt stehen und konnte keinen Blick von der Szene wenden. Sie näherte sich so weit es ging. Fasziniert sah sie Rudolfs Kopf, der sich rhythmisch bewegte. Sie sah die Lust in Andreas' Gesicht. Sah wie seine Hände ihren Mann kontrollierten, leiteten, führten, sah seine geöffneten Lippen, geschlossene Augen. Ja, sie glaubte sogar, sein Stöhnen zu hören. Tränen kamen ihr, das Bild verschwamm und sie löste sich von dem Anblick.
Im Aufzug begann sie dann endlich richtig zu weinen. Hemmungslos zu schluchzen. Sie konnte auch nicht aufhören, als jemand zu stieg und war dem Fremden für sein Schweigen dankbar – und dafür, dass er fremd war. Auch dafür, dass er sich bemühte, zur Seite zu sehen. In ihrer Wohnung angekommen, trank sie Vodka. So konnte sie auf keinem Fall zu Ruth, so konnte sie vor allem Tristan nicht gegenüber treten. Es fühlte sich an als hätte sie U-Bahnen im Kopf. Die Gedanken rasten in verschiedene Richtungen. "Bitte zurücktreten. Zug fährt ein." Sie schubsten und drängelten, auf mehreren Etagen, ganz tief drinnen. Fuhren ein, fuhren aus. Sie wusste nicht, auf wen sie zorniger war, den Mann, der sie betrogen oder den Freund, der sie verraten hatte. So viele Lügen. Alles erschien in einem anderen Licht. Nichts war mehr wirklich.
Und plötzlich wurde sie ganz ruhig. Sie beobachtete sich selbst, wie sie die Treppen hinauf ging, um sich das Gesicht zu waschen. Das eiskalte Wasser tat gut und als sie wieder aufblickte erschrak sie ein wenig über die Augen, die sie aus dem Spiegel ansahen. War das sie?
Rudolfs CD-Regal war wohl geordnet. Sie fand daher Lohengrin sofort. Sie legte die CD auf. Drehte die Anlage auf Anschlag. Dann schrieb sie eine SMS an zwei Männer: "ich habe euch gesehen. tristan holt marcel in einer halben stunde." Dann ging sie zu Ruth. Vorher zog sie noch den Lippenstift nach. Elsa sang.
(Fortsetzung folgt)
619 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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datja - 18. Jul, 18:34
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