1. November: Allerheiligen
Nachdem alte Gespenster pünktlich zu Halloween über mich hereingebrochen sind, kam am nächsten Tag wie stets die tränenreiche Versöhnung. Früh am Morgen klopfte die Mutter an meine Tür und entschuldigte sich, der Föhn, das Leben, die Krankheit, des Vaters Tod, seine Familie, die vielen Aufgaben, die Einsamkeit, all das wäre Schuld. Und ist es wohl auch.
Und so entschuldigte ich mich auch und wir vergaben uns. Bleibt doch nichts anderes.
Schützend habe ich mein Netbook all diese Tage auf dem Schoß, halte mich fest an dieser anderen Welt, in der ich derzeit am meisten Halt finde. Stets behalte ich das Netz im Auge bei diesem Drahtseilgang der Gefühle. Im Fernsehen laufen die Soaps, die ihren Nachmittag begleiten: „Verbotene Liebe“, „Marienhof“, „Dahoam is dahoam“. Sie drohnt in ihrem Sessel mit Fußschemelchen. Ich sitze auf der Couch, wie stets mit derselben Schottenkarodecke abgedeckt, die schönen neuen Kissen hinten aufgereiht. Die Decke verrutscht immer, die Polster fallen. Sie beobachtet mich. Hin und wieder streckt sie die Hand nach mir aus. Ganz weich ist sie. Sie erzählt wieder und wieder vom Ringen um Anerkennung und Wertschätzung. Und von der Angst, was mit all dem hier passiert, wenn sie nicht mehr ist, dem wofür sie soviel geopfert hat.
Beim Mittagessen sprechen wir dann von der Vaterfamilie, versöhnlicher ist sie jetzt und lobt ihren Schwiegervater, meinen Opa, den ich sehr geliebt habe. In Osek habe er die Großmutter kennen gelernt, erzählt sie, dass er ein Herr gewesen sei und, dass er sie anerkannt habe und geschätzt. Und dann reden wir wieder über Papa.
Allerheiligen wird für mich immer am Friedhof der Kleinstadt stattfinden. Als Kinder standen wir – Cousinen und Cousins – aufgefädelt wie die Orgelpfeifen am großelterlichen Grab. Manchmal fehlte eines von uns Kindern, weil es mit Vater oder Mutter am Grabe der Schwiegerfamilie war, oft waren wir komplett, spätestens, wenn wir uns nachher am Vorplatz trafen. Im Großen und Ganzen mochte ich Allerheiligen, Familienfeste begeisterten mich das Einzelkind soundso und dieses hatte noch den einen oder anderen Extrabonus.
So durfte ich als Zweitälteste später die Kerzen mitanzünden, bei einem Süßwarenstand vor dem Friedhof bekamen wir türkischen Honig und Maroni, manchmal brachte mein Onkel, der geizige Sparkassendirektor, Geschenke vom Weltspartag mit, irgendwann waren die Erwachsenen betrunken und lustig, man konnte geheimnisvolle Geschichten belauschen, Bierdeckelhäuser bauen, bekam Gasthausessen und oft tollten wir Kinder spät nachts mit Taschenlampen durch die Obstgärten.
Der Preis, den man zu zahlen hatte, waren kalte Füße in ungeliebten Schuhen, eine lange mühsame Zeremonie, die man unter keinenUmständen durch Lachkrämpfe unterbrechen durfte, Schimpf, weil es trotzdem oder deswegen passierte, das Bemühen, traurig zu sein, an die Toten zu denken und sich schämen, wenn man stattdessen, den Vögeln nachsah und Grabsteine las, aufs Klo müssen und nicht können, es nicht sagen könen, weil man vorher gehen hätte müssen, genervte Eltern, Tanten, Onkel, der enge gang zwischen feuchten Pelzmänteln eingepresst und schön anziehen müssen. Der Tag, an dem ich zwar ganz in schwarz, aber mit zweifärbigen Strümpfen – blau das linke Bein, grau das rechte, war das letzte Allerheiligen vor Vaters Tod, an das ich mich erinnere. Die Schande. Ich hatte Liebekummer, unendlichen Liebeskummer.
Ich ließ die Mutter bestimmen, was ich tragen solle. Es zählt ja doch bloß für sie. Ich mag die Kleidung, die sie aus dem Mitgebrachten auswählt und ich mag den Stolz, den sie zeigt. Vaters Grab liegt ganz nah, bei dem der Großeltern, dort stehen Mutter Bruder, der mittlerweile epnsionierte Sparkssendirektor und die – jüngere - Schwester, Mutter des Lieblingscousins. Wie immer verschmälern sich die Lippen der beiden Schwestern, sobald sie einander sehen. Sie mustert mich – „Des hat ihr gfallen“, wird die Mutter später zufrieden zur Kenntnis bringen. Am Nebengrab, alte Freunde der Eltern, auch sie unterwegs verloren, die Kinder, mit denen ich einst gespielt habe, die Tochter mit der Wiesen gallopiert bin von Schicksalssalsschlägen gebeutelt. Die Rosen auf Papas Grab, sein Lachen auf dem Bild, der Boden, der sich senkt, der Föhn, die Berge.
Später dann im Gasthaus das übliche Kräftemessen unter den Geschwistern, mit der Schwägerin, die den Bruder vertritt, der nicht gekommen ist. Wie schon als Kind versuche ich auszugleichen und abzulenken und brause dann im falschen Moment auf und bekomme all die Messer ab, die sie gegeneinander gerichtet hatten. Mein Vater fehlt. Ruhig , freundlich humorvoll mit tiefer Stimme hat er bei diesen oft so boshaften Allerheiligen-Gesprächen für sanften Ausgleich gesorgt. Er mochte Allerheiligen.
Ich bin glücklich als mein Flieger abhebt, nach Hause. Und dann schlage ich hier mit voller Wucht wieder am Boden auf.

Und so entschuldigte ich mich auch und wir vergaben uns. Bleibt doch nichts anderes.
Schützend habe ich mein Netbook all diese Tage auf dem Schoß, halte mich fest an dieser anderen Welt, in der ich derzeit am meisten Halt finde. Stets behalte ich das Netz im Auge bei diesem Drahtseilgang der Gefühle. Im Fernsehen laufen die Soaps, die ihren Nachmittag begleiten: „Verbotene Liebe“, „Marienhof“, „Dahoam is dahoam“. Sie drohnt in ihrem Sessel mit Fußschemelchen. Ich sitze auf der Couch, wie stets mit derselben Schottenkarodecke abgedeckt, die schönen neuen Kissen hinten aufgereiht. Die Decke verrutscht immer, die Polster fallen. Sie beobachtet mich. Hin und wieder streckt sie die Hand nach mir aus. Ganz weich ist sie. Sie erzählt wieder und wieder vom Ringen um Anerkennung und Wertschätzung. Und von der Angst, was mit all dem hier passiert, wenn sie nicht mehr ist, dem wofür sie soviel geopfert hat.
Beim Mittagessen sprechen wir dann von der Vaterfamilie, versöhnlicher ist sie jetzt und lobt ihren Schwiegervater, meinen Opa, den ich sehr geliebt habe. In Osek habe er die Großmutter kennen gelernt, erzählt sie, dass er ein Herr gewesen sei und, dass er sie anerkannt habe und geschätzt. Und dann reden wir wieder über Papa.
Allerheiligen wird für mich immer am Friedhof der Kleinstadt stattfinden. Als Kinder standen wir – Cousinen und Cousins – aufgefädelt wie die Orgelpfeifen am großelterlichen Grab. Manchmal fehlte eines von uns Kindern, weil es mit Vater oder Mutter am Grabe der Schwiegerfamilie war, oft waren wir komplett, spätestens, wenn wir uns nachher am Vorplatz trafen. Im Großen und Ganzen mochte ich Allerheiligen, Familienfeste begeisterten mich das Einzelkind soundso und dieses hatte noch den einen oder anderen Extrabonus.
So durfte ich als Zweitälteste später die Kerzen mitanzünden, bei einem Süßwarenstand vor dem Friedhof bekamen wir türkischen Honig und Maroni, manchmal brachte mein Onkel, der geizige Sparkassendirektor, Geschenke vom Weltspartag mit, irgendwann waren die Erwachsenen betrunken und lustig, man konnte geheimnisvolle Geschichten belauschen, Bierdeckelhäuser bauen, bekam Gasthausessen und oft tollten wir Kinder spät nachts mit Taschenlampen durch die Obstgärten.
Der Preis, den man zu zahlen hatte, waren kalte Füße in ungeliebten Schuhen, eine lange mühsame Zeremonie, die man unter keinenUmständen durch Lachkrämpfe unterbrechen durfte, Schimpf, weil es trotzdem oder deswegen passierte, das Bemühen, traurig zu sein, an die Toten zu denken und sich schämen, wenn man stattdessen, den Vögeln nachsah und Grabsteine las, aufs Klo müssen und nicht können, es nicht sagen könen, weil man vorher gehen hätte müssen, genervte Eltern, Tanten, Onkel, der enge gang zwischen feuchten Pelzmänteln eingepresst und schön anziehen müssen. Der Tag, an dem ich zwar ganz in schwarz, aber mit zweifärbigen Strümpfen – blau das linke Bein, grau das rechte, war das letzte Allerheiligen vor Vaters Tod, an das ich mich erinnere. Die Schande. Ich hatte Liebekummer, unendlichen Liebeskummer.
Ich ließ die Mutter bestimmen, was ich tragen solle. Es zählt ja doch bloß für sie. Ich mag die Kleidung, die sie aus dem Mitgebrachten auswählt und ich mag den Stolz, den sie zeigt. Vaters Grab liegt ganz nah, bei dem der Großeltern, dort stehen Mutter Bruder, der mittlerweile epnsionierte Sparkssendirektor und die – jüngere - Schwester, Mutter des Lieblingscousins. Wie immer verschmälern sich die Lippen der beiden Schwestern, sobald sie einander sehen. Sie mustert mich – „Des hat ihr gfallen“, wird die Mutter später zufrieden zur Kenntnis bringen. Am Nebengrab, alte Freunde der Eltern, auch sie unterwegs verloren, die Kinder, mit denen ich einst gespielt habe, die Tochter mit der Wiesen gallopiert bin von Schicksalssalsschlägen gebeutelt. Die Rosen auf Papas Grab, sein Lachen auf dem Bild, der Boden, der sich senkt, der Föhn, die Berge.
Später dann im Gasthaus das übliche Kräftemessen unter den Geschwistern, mit der Schwägerin, die den Bruder vertritt, der nicht gekommen ist. Wie schon als Kind versuche ich auszugleichen und abzulenken und brause dann im falschen Moment auf und bekomme all die Messer ab, die sie gegeneinander gerichtet hatten. Mein Vater fehlt. Ruhig , freundlich humorvoll mit tiefer Stimme hat er bei diesen oft so boshaften Allerheiligen-Gesprächen für sanften Ausgleich gesorgt. Er mochte Allerheiligen.
Ich bin glücklich als mein Flieger abhebt, nach Hause. Und dann schlage ich hier mit voller Wucht wieder am Boden auf.

katiza - 2. Nov, 18:06
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