16
Jun
2014

My private Guantanamo…

Und manchmal verwandelt sich mein Ashram, mein Zen-Kloster in ein Gefängnis. Zeit und Raum gehören mir schon lange nicht mehr. Weder am Tag noch in der Nacht. Mein Radius ist eine Stunde, am Wochenende unser Radius. Die restliche Zeit verbringe ich in Rufbereitschaft, zehn, zwölf, fünfzehn mal, ruft mich der vertraute Klingelton; erinnert mich an mein Versprechen. Und dann noch die Zeit zu ihren Füßen; und immer wieder Klo. Längst habe ich den Ekel abgelegt, längst vermeine ich den süßlichen Pissegeruch, der sich im Sommer auch nachts durch die Plastiksäcke drängt nicht mehr los zu werden.

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Der Zorn bricht sich schon wieder Raum; von vier Krankenschwestern kann letztendlich nur eine bestehen. Bei den anderen lässt die Eiskönigin bei 34 Grad im Schatten die Luft gefrieren: Zu dick, zu unfrisiert, zu nett, zu…. Einen Teil meiner einzigen freien Stunden im Tagesverlauf verbringe ich also lauschen in der Küche und tröste die Schwestern, wenn sie aus dem Haus geschickt werden. „Klo“, sagt sie, während die Türe noch ins Schloss fällt. Sogar die Hospizschwester schickt sie weg. „Krankheitsfolgen“, vermuten die Schwestern. Nein, muss ich mich stetig erinnern, ich kenne diese Blicke, dieses Schweigen, diesen Zorn, diese Anschuldigen, seit ich Menschen kenne.

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Gerade eben vermeinte ich sie hinter der Scheibe wahr zu nehmen. Sie öffnete das Fenster nicht, eine Minute später mein Handy, ich laufe hinein. „Klo – so wie du läufst, wenn ich dich rufe, musst du mich lieb haben.“ Klo. Scheiße. „ich kann nicht Gedanken lesen, Mama, niemand kann das, du musst sagen, was du willst…“ Sie tätschelt mich.

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Und dann sagt sie, was sie will, irgendwann, wenn ich gerade sitze, lese oder schreibe. „Nudeln“ – und die sofort, mit Fertigsauce. Ich erkläre, wie wichtig mir das kochen ist, wie es mich befreit und dass ich ihr ihres und mir meines koche. Drei Stunden köchelt die Rindssuppe, als ich aus dem Keller retour komme, steht sie mit der M*ggi-Flasche davor. „Wenn du mich anschreist, wissen die Leute, dass du nicht so gut bist, wie du tust“, ich wusste, dass das kommt, immer wieder. Die Leute, Außenwirkung. Sie hebt die Hände, wie um mich zu schlagen. „Woher kommt dein Hass?“ fragt sie – „Es ist Liebe, Mama, weder Eitelkeit noch Hass.“ Ich verletze sie, mich auch.

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Nur mehr an meiner Lautstärke kann sie sich festkrallen, kaum mehr an meinen Worten. „Schrei nicht mit mir“, ich senke die Stimme. „Aber du kannst den Martin bei dir haben, du hast deine Wohnung, dein Leben“ – das ich mir verdient und erarbeitet habe, verdiene und erarbeite. Es ist nicht die Krankheit, nicht diese Krankheit, nicht der Krebs, nicht der Ikterus, es sind nicht die Medikamente. Es ist die andere, die viel, viel ältere, die mehr an mir als ihr nagt, mir mehr Schmerzen bereitet oder ähnlich viele.

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Daran muss ich mich erinnern, um mich nicht einlullen zu lassen vom Lächeln, den Komplimenten, die sich auf das Aussehen beschränken, vom Verständnis. Sie ist nicht immer so, sie hat auch schon des Nachts ausgeharrt, um mich nicht zu rufen, sie bedankt sich, sie sagt: „Das könnte ich nicht“ Und sie sagt in einem unserer letzten Streits die Wahrheit: „Ich liebe dich, ich hab ja sonst niemanden.“ Die Menschen hier in den Bergen sind so stolz auf ihre Ehrlichkeit.

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Es ist Liebe, Mama, Liebe zu dir und Papa, zum Leben und den Menschen. Und es ist gut so.
777 mal erzählt

9
Jun
2014

Papa, can you hear me?

Du bist bei uns. Auch wenn sie nicht von dir spricht, begleitest du uns. Besonders hier, wo du gestern Abend mit dem 1. Offizier und mir an deinem Stammplatz gesessen bist. Oder dort drüben unter dem Apfelbaum. Ich hätte auch dich nach Hause begleitet, wenn du gewartet hättest – da ist er wieder, der verdammte Konjunktiv in der Vergangenheit. Dabei gehen wir doch noch immer nebeneinander – ich auf deinen Schuhen, gestützt von deinen Händen. Vielleicht ist es ungerecht, wenn ich dich als den sanft Führenden und sie als den verbietenden Pol betrachte.

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Dass ich jetzt hier sitze in ihrem deinen, euren Garten, an deinem Platz, Mann und Frau und das Haus vor mir, die Mutter begleitend, behütend, als stete Wunscherfüllerin, hat sie habe ich, haben wir auch dir zu verdanken. Das habt ihr mir mitgegeben ins Leben, meine Werte als schützenden Mantel, der mich doch auch ins Schwitzen bringt und da und dort gewaltig zwickt. Aber das weißt du ja, auch dein Mantel hat gezwickt, war mal zu dünn und seltener zu dick, zu eng, nehme ich an. Nicht so Komfortabel und weit wie der schwarze Dufflecoat aus olympischen Zeiten, denn die Mutter mit einem güldnen Futter versehen ließ, dein Mantel, ein wenig zurecht gestutzt, doch groß und weit und warm. Wie dein Herz.

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Kaum Spuren hier im Haus von dir mit Ausnahme der Bücher, die du in den Nächten verschlungen hast. Dicke Schwarten, gerne mit historischem Kontext, die beiden Laden im Schlafzimmer, vielleicht. Deinen Kasten haben wir mittlerweile ausgeräumt, ein paar Stücke dem 1. Offizier gegeben, einen Hut, einen Mantel, groß und weit und warm wie sein Herz. Er wächst hinein, ich wachse hinein, ich gehe den Weg mit ihr. Das hast du gewollt, glaube ich, gehofft, vielleicht und wohl auch, dass ich glücklich bin. Und ich bin es. Es gibt eine Schulter, an die ich mich lehnen kann, wenn mir die Last des Hauses zu viel wird, einen Arm, auf den sie sich stützen kann, wenn sie meinen nicht will, jemanden, den sie anlächelt, wenn sie mich anschweigt und mit kritischen Blicken mustert. Du kennst den Blick.
Papa, du fehlst mir, deine Stimme, dein Lachen und die Möglichkeit, dein großes, weites und warmes Herz schlagen zu hören. Heute wärest du 84. Jahre alt geworden. Danke für alles, was du mir fürs Leben mitgegeben hast.

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666 mal erzählt

5
Jun
2014

Welchen Tag haben wir heute?

„Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“ hieß ein Buch in unseren Regalen. Morgens um sieben schläft Mama noch ein bisschen. Meist sind wir um fünf aufgestanden, um drei, around midnight. Das Handy weckt mich. Sie ruft an, wenn sie mich braucht. Meine Schlafzimmertüre – das Vaterzimmer neben ihrem – ist zu. Ich brauche die Privatheit, ich ertrage auch die durchgehende Beschallung mit Radio Tirol nicht. Also, Anruf genügt, ich werfe mein Hemd über, binde manchmal sogar die Haare zurück und eile. Oft bewundert sie die Geschwindigkeit, mit der ich bei ihr bin. Wir stolpern, sie weil es Nächtens noch schwerer fällt, die müden Füße zu heben, ich schlaftrunken und geblendet vom Licht, das sie aufdreht. Toilettenrituale, retour.

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Morgens um sieben streife ich durch die Social Media, höre Ö1 in der Küche und schneide Früchte für Mamas Frühstück, auf dem Herd brodelt mein Kaffee in der roten Espressokanne. Die Stiege ist gewischt, meine Bettdecke über die Balustrade gehängt, Teppichfalten geglättet, die Sauna im Keller aufgedreht, damit ich beim Duschen nicht frieren muss. Wenn ich den Obstteller und die morgendliche Medikamentenration serviere, erwacht sie. Ich spüle die Gallendrainage, wenn die Krankenschwester erst später kommt oder überlasse es ihr. Das mache ich gut findet sie, ganz sanft. Im Nachthemd – gestern von mir gebügelt – sitzt sie kerzengerade vor dem Obstteller, den Reifegrad der Früchte kommentierend, ich hole den Schlafrock, ziehe ihn ihr an, hole Zucker, falls gewünscht und die Tageszeitung aus dem Windfang, der Todesanzeigen wegen.

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Küche aufräumen, sie will hinunter gehen, bald, gleich und die Dusche wieder abgedreht. Keine Zeit. Später, vielleicht. Hausfrauenpflichten. Die Ordnung muss hergestellt werden. Die Mutter wischt in der Küche hinter mir her, sie räumt, vor allem weg. Manchmal verteidige ich kleine Winkel, mein Wasserglas mit den Limetten, meist verlasse ich den Raum. Und so geht es weiter – unterbrochen von Klogängen – manchmal dröhnt der Fernseher – „Verbotene Liebe“ – aber das interessiert sie längst nicht mehr, sie schlurft durch die Räume glättet Teppichfalten, entsorgt welke Blüten. Wir reden wenig, oft sind sogar die Befehle stumm.

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Ihr Blick ist müde, von der anderen Seite, das Morphium wohl. Und doch: keine welke Blüte entgeht ihr, unbarmherzig rupft sie sie mit der gesunden Hand ab, den Gips nach hinten gestreckt. Ihr Schritt wird sicherer bei den Spaziergängen. Untertags schläft sie kaum. Auch ich finde keine Ruhe. Am ehesten beim Bügeln. Die Krankenschwesternstunden sind für uns beide Höhepunkte an den Wochentagen. Ich kann für eine Stunde entfliehen, die Mutter ihre Geschichte erzählen.

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Dann Mittagessen, meist nicht gut genug. Nur einmal war es schmackhaft – wie bei der Signora – die Pastasauce kam aus dem Glas, die Köchin ist gekränkt. Aber das Alter und das Konveniencewunder – echtes Essen verbreitet auch Geruch und schafft Unordnung – lassen mich verstehen, ich esse mit und die Reste, die mir wortlos über den Tisch geschoben werden – dasselbe Spiel in den Gasthäusern. Früher war es mit Pralinen so – sie biss sie an und stopfte die andere Hälfte wortlos mir oder dem Vater in den Mund. Ungeduldig wartet sie während ich koche, beobachtet jeden Handgriff – kaum serviert, legt sie los, ob was und wann ich esse ist egal. Vorher muss gewischt und gekehrt werden, nachher wird sie das wieder tun. Zen oder die Kunst, die Küche sauber zu halten. Teppichfalten.

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Es ist die Mad Tea Party aus Alice in Wonderland. „Was mache ich noch hier?“ fragt sie mich und sagt: „Das ist doch kein Leben…“ Aber zumindest deines, denke ich mir und dass ich ein anderes habe, kein Hausfrauenleben mit Teppichfalten ungeglättet, das mir morgen wieder in Gestalt des geliebtesteten 1. Offiziers zur Seite steht und in den Armen liegt. Ich schweige und lächle. Vier Tage im Monat darf ich zurück in meine Welt, haben wir ausgehandelt, mit Unterstützung guter Geister erscheint es ihr letztendlich als ihr Plan. Vier Tage, drei Nächte – Kaisermühlen und Vorderdeck.

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Nachtdienst, bald kommt der 1. Anruf …
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27
Mai
2014

Und wenn sie nicht…

Das Leben geht weiter. Uns bleiben noch Monate. Ab morgen sitzen wir wieder auf unseren Koffern – die zweite Generation Amseln ist ausgezogen, draußen blühen die Rosen und morgen hol ich Mama nach Hause. Dazwischen liegen vier Tage Heimaturlaub am Vorderdeck mit NiMiversum und Freitag und Brotbacken und Kaiserwasser. Am Bahnhof erwartet mit Lilien und Liebe. Das kleine riesengroße Glück – diesmal ohne Redaktionssitzung und große lächerliche Dramen. Und doch taumle ich durch dieses Leben, weiß nicht, wen anrufen, wen sehen, was tun.

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Der Zufall führt Regie, heißt eine billige journalistische Floskel – und das macht er gut, der Zufall. Denn es fällt mir die junge Frau zu, deren Engagement ich schon so viele Jahre bewundere und schätze. Auch sie mit kranker Mutter, der Tumor sitzt im Kopf, Wachkoma – wir essen, weinen und lachen. Eben hat noch ein Anruf mich an die Ketten erinnert, die ich nicht ablegen kann. Will – sagt der Anruf, irgendwie oder zumindest glaube ich es so zu verstehen. Einen Tag vorher hat mir die Schwiegercousine noch gesagt, dass wir es alle zusammen schaffen, dass wir zusammen halten und ich manchmal heim kann. Jetzt ist es schwierig, sagt ihr Mann, der Lieblingscousin, der Neffe, dem die Tante regelmäßig eine Jause ins Internat gebracht hat. Wegen der Kinder und überhaupt, die Tante sei verwöhnt und da gehören zwei dazu. Man müsse sie erziehen, hätte sie erziehen müssen. Ich hab ein Lieblingskleid an, stehe vor dem Plattenspieler, wandere durch die Räume, während ich telefoniere, fassungslos, verzweifelnd, rechtfertigend.

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„Großartig“ finden sie es, eine „Chance“, die Männer, für sie käme das nicht in Frage, immerhin sind sie engagierte Väter oder machen Filme. Differenzierter sehen es die Frauen, Angst in ihren Augen, sie verstehen die Dimension, ich erzähle meine Geschichte, zu oft?

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Rausch und Wirklichkeit. Es ist Freitag Abend, genug der Galgenlieder und Champagner ohne Ende. Und dann der Anruf: „Vergisst du die Mama nicht?“ Wie könnte ich? Laß es so, bitte ich den Erstgeborenen, mich. Ich laß es – so.

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Wieder zurück ist die Mutter sanft und dankbar, sie hat mich vermisst - auch verwirrt. Zärtlich greift sie nach meiner Hand während wir von Station zu Station ziehen: Spülen der Drainage, Röntgen, Ultraschall, der Arm. Manchmal blitzen ihre Augen keck, meist blicken sie in eine unbekannte Ferne. Sie träumt vom Essen, einem Hochbeet, dass sie aus dem 1. Offizier einen 1. Gärtner machen kann. Das Leben geht weiter – Rosen säumen den Weg, die nächsten Amseljungen sind flügge geworden, im Dachstuhl haben andere ihr Nest gebaut, die Klinkerfliesen brechen, der Himmelschlüssel blüht nicht mehr, wir sitzen auf unseren Koffern. Wir haben die Heizung wieder angedreht, der Kühlschrank ist wohl gefüllt, ich wische die Stiegen, mache Betten und bügle. Daheim bin ich woanders.

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„Wie schön wir es haben werden“, sagt die Mutter mit diesem Blick. Die Dame im Nachbarbett lächelte, eine echte Dame wie mir Mama halblaut versichert, aus gutem Haus, die ihre Strümpfe stopft. Stimmbandlähmung, erklärt sie mir mit heiserer Stimme, ihr Klingelton ist die „Peer Gynt Suite“, manchmal liest sie Noten. Als ich komme sitzen die beiden Damen zu Tisch, rebellierend – die Krankenhauskost. Ein bisschen stehe ich im Kinder-Wettbewerb, während ich zwischen den beiden sitze – praktische Tiroler Kurzhaarfrisur, starke Frauen mit schönen Beinen und der Liebe ihrer Kinder.

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Und dann diese Menschen – Pflegepersonal. Männer wie Frauen, die einzigen, die verstehen können, was wir hier leben neben dem 1. Offizier, der dieses Leben an seinen Wochenenden teilt. Und den ich so liebe. Meistens hat sie Respekt vor ihnen wie vor allen, die ihr Leben mit ihrer Hände Kraft verdienen. Aber diese Menschen geben mehr, sehr viel Seelenwärme und meine große Hoffnung ist, dass es mir im nächsten Teil meines Lebens gelingen wird, ihnen einiges davon zurückzugeben. Und draußen blühen die Rosen und die Amseln nisten im Gebälk.
717 mal erzählt

19
Mai
2014

The queen is back

Und da sitzt sie plötzlich, vorwitzig im Windfang mit komfortabel überschlagenen Beinen. Ganz sauber und adrett – ordentlich. Wie in all den Wochen, in denen sie neben dem König an meiner Mutter Bett gewacht hat – wohl platziert auf einem Krankenhaus Kästchen, zwischen anderen Privatheiten auf der Sonderstation. Weihnachtsgeschenke: Fotos, Bücher, kleine Geschenke für das Personal. Der Radio, das Handy.

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Jetzt, ein paar Zimmer weiter, finden sich nur mehr Handy und Radio am Nachttisch und eine Postkarte, die dir Bärenhunger wünscht. In der Schublade noch immer Schoko für die lieben Schwestern und Pfleger – das sei wie Zigaretten im Gefängnis, eine Währung, hat Mama grinsend dem 1. Offizier geflüstert. Im anderen Krankenhaus, im Sanatorium, vorletzte Woche oder die Woche davor.

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Längst ist die Zeit aus den Fugen geraten – nur mehr Wochenenden heben sich ab, durch die Besuche des Geliebtesten. Wir freuen uns immer darauf, beide. Nicht dass unsere Wochen langweilig wären. Jeder Tag hält neue Überraschungen für uns bereit. „Rise like a phoenix“. Überraschungen wie die kleine Königin, die am Tage des Eingriffs hier auf mich gewartet hat. Keine Ahnung, wer sie damals vor wohl 100 Tagen gefunden hat und aufbewahrt bis der Frühling kommt. Jetzt ist sie wieder da. Und thront oben im Zimmer neben der Vaterpuppe, dem großen König mit dem herausnehmbaren Herz.

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Die Mutter hat sich von allen verabschiedet, bevor sie ins Krankenhaus gegangen ist. Erst hat es weh getan, das mitanzuhören, dann habe ich verstanden, ich hätte es nicht anders gemacht. Das Haus in Ordnung, die Koffer gepackt für jene Reise, die wir nicht meist nicht antreten wollen und doch alle irgendwann müssen. Kein überstürzter Aufbruch, die „schreckliche Wahrheit“ gibt auch Zeit. "Ja, ich werde sterben", schreibt die krebskranke Ärztin Dr. Kate Granger in ihrem Blog: "Aber ich habe mehr Glück als die meisten anderen. Ich konnte mich darauf vorbereiten."



Rilke hallt in meinem Kopf:
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns
mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.

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Weiß ich doch, wusste ich doch. Den Tod mochte ich immer irgendwie und auch jetzt, wo er seit Monaten mit uns lebte, vermag er mir nicht Angst zu machen – mitten in uns. Auch der Mutter nicht, glaube ich. Nur dieses Sitzen quält uns auf den gepackten Koffern, die Hoffnung, die gestundete Zeit. Es kommen härtere Tage.

Ich bleibe, habe ich versprochen, erkläre ich dem Pfleger, der sich sorgt. Er redet von Selbstaufgabe, ich von Zen, Naikan, Systemischem. „Mein Ashram“ nenne ich das Haus, mein „Zen-Kloster“ und täglich stellt mich die Meisterin vor neue Aufgaben. „Vermisst du Wien?“, will sie wissen, während wir die Rosen vor dem Krankenhausfenster betrachten. „Ja“ – die Mutter soll, darf, kann ich nicht belügen. Die Wohnung sage ich, die Kleider, die Schuhe, weil sie das vielleicht versteht. Über die Taschen haben wir geredet, erfüllte Sehnsüchte, nie getragen. Babykroko wird wieder wertvoll. „Aber Wien läuft mir nicht davon…“

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Die Mutter soll, darf und kann ich nicht belügen und so spürt sie wohl etwas von der Verzweiflung, die mich umfasst. Auch im Zen wird geweint. Im Ashram gezweifelt. Hat sie es mir zuliebe getan? Den Eingriff, der ihr Zeit und Lebensqualität gibt und mir beides nimmt. Nicht für immer – es gibt kein immer für niemanden. Für eine unbestimmte gestundete Zeit.

Eine Brücke habe ich abgebrochen, nicht wegen ihr, sondern weil sie morsch und wurmig war und jedes Mal darüber gehen, mir Angst gemacht hat. Ich weiß, dass ich wieder auf die andere Seite komme, ich werde neue Brücken entdecken, selbst welche schlagen oder einfach Segel setzen, wie mein Alter Ego, die Piratenkönigin. Ich bin nicht verloren, die Menschen senden mir Zeichen, der 1. Offizier erweist sich als „Knight in Shining Armour“
.
Und so sitzen wir weiter, mit gepackten Koffern. „Deine Schuhe solltest du putzen“, meint die Mutter und schweigt. „Hast du viel erledigen können?“ The queen is back.
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11
Mai
2014

Muttertag

Das hätt ich dir vergönnt…

die letzte Reise mit dem jungen Mann ans Meer;
blühende Rosen;
einen 1. Offizier;
Krautplattln, die dir schmecken;
Und ein Stockfischgröstl;
Verzeihen können (aber das hast du heute bewiesen);
inneren Frieden (s.o,);
eine durchtanzte Nacht; (oder viele…);
dein Zimmer ausmalen zu lassen (wenn ich noch drei Monate leb…),
die Liebe deiner Mutter;
die große Liebe;
deines Vaters Lachen;
einen Champagnerrausch,
Blumen,
und noch mehr, blühende Gärten;
einen Tee mit Andre Heller in seinem Garten am Gardasee;
dass du Thomas, den Gärtner wieder siehst;
ewige Ordnung;
Kaschmirwolken;
Einen Song für dich geschrieben;
eine Handtasche (oder mehr);
einen fetten Ofen;
allein nach Bali;
Eine Woche in Wien;
Einen Salon;
das Meer;
deine italienischen Buben;
ein, nein tausend Danke;
die Kontrolle zu verlieren und es nicht zu bereuen;
wirklich geilen Sex;
Bilder, Bilder, Bilder;
(Wieder) Malen können;
Blumen, die nie welken;
ein Sommernachmittag mit dem kleinen Lottele auf den Gassen deiner Heimatstadt;
annehmen können;
ein großes, schönes Geheimnis;
ein paar Momente, für die es sich zu leben lohnt….

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Und dass du einschläfst irgendwann bald in die Arme deiner Mutter gleitest…..ich liebe dich, Mamsch.
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5
Mai
2014

»Du hast mit mir gespielt!«, rief die Schwalbe empört, »ich fliege nun zu den Pyramiden, lebe wohl« -

Zeit Abschied zu nehmen – irgendwann muss ich weiter gehen, irgendwann bin ich immer weiter gegangen, fahrend Volk seit jenen ersten glücklichen Jahren in der CD-Familie und selbst da ein Satellit, frei, „vogelfrei. Und so habe ich mich ins nest der Organisation geflüchtet. Voller Hoffnungen und Sehnsucht und doch ein wenig Kuckuckskind, kein Falkenjunges, immer im Verdacht schwarze Daunen zu haben, das Kehlchen nicht rot genug. Und doch, wie schön ist es im Schwarm zu fliegen, die eine oder andere Kapriole zu segeln oder ein wenig daneben zu zwitschern. Wichtig ist es doch nur die Richtung beizubehalten und dann und wann gute Stimmung zu verbreiten, zu informieren, sich umzusehen. Die vorne zu schützen.


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Zu bunt der Vogel und doch zu wenig Papagei, Rabin, Gans, Käuzchen, Eule? Kein Star und keine diebische Elster, (Schnapsdrossel?), keine Geierin und Adlerauge war weder wachsam noch Adlerauge. Bald werdebns die Spatzen von den Dächern pfeifen und einer von ihnen fühlt sich in der Hand besser an, als die Taube auf den Dach. Einmal noch ein Rad schlagen, einmal noch zur Meise stehen, das Möwenlachen auspacken (Spottdrossel?), ein bisschen Kakapo sein. Nur nicht den Kopf in den Sand stecken und das gluckenhafte ist eh OK Ein wenig Cold Turkey ist auch dabei, Gänsehaut. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

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Und so segle ich weiter, Phönix ist der Vogel meiner Wahl und Kraniche falte ich, müssen wohl tausende sein. Oder einfach nur eine Schwalbe? 

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869 mal erzählt

29
Apr
2014

"Wollt Ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht Eure Magd sein."

„Du hast noch Leben genug“, sagt Mama und trifft ins Herz. Wir verhandeln über ein wenig Entlastung, drei Stunden in der Woche mit der Hospizfrau. Alte Verlustängste schlagen zu. Auf ihrer Seite. Auch bei mir. Eifersucht. Schreie nach Liebe. „Schrei nicht mit mir!“ Ich bin müde, überspannt, C5/6/7 schmerzen, die ganze Nacht tönt das Radio aus dem Nebenzimmer. Untertags sitze ich am Laptop, während zum zweiten Mal dieselbe Folge von „Verbotene Liebe“ wiederholt wird. Ich weine, fliehe, in die Küche, kehre zurück. Ich bettle, flehe, erzähle, was ich getan habe. „Es gab immer ein besseres Kind“ sage ich. Dass ich eifersüchtig bin, sage ich und das ich immer das Gefühl hatte nicht zu genügen und ich ihr eben jetzt beweisen will, muss, dass ich ein gutes Kind bin. Unsere letzte Chance. „Kannst du mir das Aufmachen?“, sie streckt mir den Augenbrauenstift hin.

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Dass sie den Gips nicht mehr herunterbekommen wird, sagen die Blicke des jungen Arztes, dass Pflege demnächst zu spät kommt, deutet die Hospizschwester an. Und Mama ruft den Gärtner an, der Rasen muss gemäht werden, der arme Gärtner, seine Mutter ist schwer krank…Sie tut das für mich, zumindest glaubt sie das. Sie will, dass alles ordentlich ist, wenn ich übernehme. Sie will geben, nicht nehmen. Ich halte es aus: für sie, für Papa, für mich letztendlich. Und ich bereite ihr Schwierigkeiten, zu lang der Schatten der Projektion. Zu viel Nehmen müssen und Angst zu wenig gegeben zu haben. Und Schuld und Sühne. Ich liebe sie. Ich hab noch Leben genug.

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Und doch ist da so viel Sehnsucht nach dem kleinen Alltag: Der eigene Kleiderschrank mit großer Auswahl, OE1 früh am Morgen, Milchschaumtiere für den Geliebtesten, Frühstück im Bett, mein Schreibtisch und der komfortable Sessel davor, zwei Bildschirme zum leichteren Arbeiten, Fenster auf und Seifenblasen auf die Frühlingsstraße, Filterkaffee, der schmeckt und bunte fröhliche Menschen im PoC, Post, die Öffis und der Freud-Park und das Alte AKH ganz besonders, der neue Bio-Markt im 8., die Nachbarinnen und Nachbarn, Schuhe und Hüte zur Auswahl, Wein kosten am Nachhauseweg und dann ein Bier oder ein 28er im 28, Stadtspaziergänge, Einkaufen auf Schnäppchenjagd und Bio, Kochen, Brot backen, Kräuter sammeln und verkochen, Bootspicknick auf der Alten Donau, Essen gehen, Menschen treffen, Trinken gehen, rätseln, Backgammon mit dem Geliebtesten und all das andere auch noch, kuscheln, Schallplattenhören beim Erstgeborenen, Konzert gehen, Lachen. Kommt alles wieder. Ich habe noch Leben genug.
813 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Im Bilde

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Soundtrack

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datja - 18. Jul, 18:34
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Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
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