12
Jun
2007

Siamkater (3)

Eine Schweißperle machte sich von der kleinen Grube ihrer Kehle auf den Weg zwischen ihre Brüste. Julie war heiß. Nicht nur weil sie seit Tagen kein Fenster mehr öffnen konnte, ohne im Staub zu ersticken. Und das während sie stundenlang am Computer saß und die erotischen Geständnisse einer Studentin der französischen Elite-Uni ENA im Catherine-Millet-Stil übersetzte. Und dann natürlich Özgür. So hieß der junge Mann, der immer wieder durch das Fenster grüßte. Mittlerweile hatte sie einen Morgenmantel im Schlafzimmer und sich daran gewöhnt, ihren Kaffee mit ihm zu teilen. Nachmittags servierte sie ihm manchmal Zitronenlimonade. Gerade 17 war er und seine Muskeln kamen vom Taekwondo-Training. Das hatte er ihr im offenen Fenster in seiner türkisch-österreichischen Sprachmischung stolz erzählt. "Ein Bub", dachte sie und betrachtete hungrig seinen Männerkörper. Wenn er wie jetzt freundlich beim Fenster herein sah, fühlte sie sich immer ein wenig ertappt. Sie lächelte zurück und konzentrierte sich wieder auf den Text voller Schenkel und Schwänze. Bhumipol hatte sich für die Zeit der Renovierungsarbeiten in den Vorraum zurückgezogen. Darüber war sie erleichtert, denn seine Gewohnheit, sie fast regungslos bei der Arbeit zu beobachten, hatte ihren Hass auf ihn nur genährt. Er schien sich mit den Arbeiten abgefunden zu haben, denn seit drei Tagen benutzte er wieder ausschließlich sein Katzenklo.
Flucht in ein Schwimmbad war nicht drinnen. Das Manuskript musste fertig werden. Irgendwo war doch noch ein Ventilator, erinnerte sie sich. Draußen im Vorraum suchte sie ihn und fand ihn ganz oben in einem der Kästen. Sie presste drei Zitronen aus, füllte das Glas mit Wasser auf, gab Eiswürfel dazu und suchte Özgür, der gerade vor ihrem Schlafzimmerfenster beschäftigt war. Breit grinsend sagte er zu, als sie ihn um Hilfe bat.
Als sie ihm die Leiter hielt, fiel ihr sein fester Hintern auf. Sie roch seinen Schweiß und sah die kleinen Perlen auf seinen Achselhaaren. Er sprach mit ihr, aber sie nahm seine Worte nicht wirklich war. Sie lächelte zu ihm hinauf. Bhumipol strich durch den Vorraum und beobachtete die Szene. Julie griff nach dem Ventilator. Der Geruch seines Schweißes war scharf aber nicht unangenehm. Sie wollte mehr davon, mit ihrer Nase in seine Achseln eintauchen. Eine leichte Drehung hätte gereicht und sie hätten sich umarmt. Sie fragte sich, ob er all das genauso wahr nahm wie sie. Kurz blickte sie auf seine Hose, dann war sie wieder verstrickt in ihrer eigenen Begierde. Der Kater würgte hinter ihr plötzlich sein Luxusmahl hervor. Özgür rümpfte die Nase, dieses Grinsen. "Komisches Viech", sagt er und machte sich daran den Ventilator im Wohnzimmer aufzustellen und einzuschalten. Vergeblich. Jetzt wusste Julie wieder, wieso er dort oben im Kasten verstaut war. Er war kaputt und Christian, der Sparsame, wollte ihn damals nicht weg werfen. "Mein Schwager verkauft", erklärte der Bursche: "20 Euro, für dich, weil du Freundin. Ich bringe." Sie nahm das Angebot an. Sie hatte keine Ahnung, ob das günstig oder teuer war. Sie wusste nicht einmal, ob sie einen neuen Ventilator wollte. Sie wollte Özgür und dass der Moment möglichst lange andauert. Sie wollte Abkühlung. "Sechs", sagte er und nachdem sie sich kurz in die Augen sahen zur Erklärung: "Ich komme." Dann ging er wieder an die Arbeit. Julie wischte die Katzenkotze auf und nahm eine kalte Dusche. (Fortsetzung folgt)
602 mal erzählt

11
Jun
2007

Siamkater (2)

08:20 zeigte der digitale Wecker an. Julie bedauerte, dass sie sich gestern von Karin noch zu einem Besuch des gemeinsamen Stammlokals überreden hatte lassen. Es war spät geworden und sie hatte - wieder einmal - zu viel getrunken. Und daran war nicht einmal die Freundin schuld, sondern ganz allein sie selbst. Jetzt spürte sie jedenfalls ihre Blase. Sie wälzte sich aus dem Bett und machte sich auf in Richtung Klo - die Augen noch immer fast geschlossen Vielleicht würde sie ja weiter schlafen können und das Kopfweh würde aufhören und der Tag schneller vorbei gehen. Erst am Klo wurde ihr bewusst, dass da jemand gewesen war. Vor einem der Fenster im Wohnzimmer. Das Gerüst natürlich. Und sie nackt, wie auch anders. Als sie im Vorraum nach etwas zum Überwerfen suchte, um wieder zurück ins Bett zu fliehen, stolperte sie in eines von Bhumipols feuchten Vermächtnissen. Der beißende Geruch von Katzenurin machte alles nur noch schlimmer. Und am schlimmsten war, dass sie nun wach war.
Unter der Dusche war sie dankbar dafür, dass Badezimmer und Küche im hinteren Teil der Wohnung lagen - verschont von Baugerüsten und Fassadenrenovierung. Das heiße Wasser wusch Kater, Ärger und Peinlichkeit von ihr ab. Sie fischte sich ihre Arbeitskleidung - Sarong und T-Shirt - aus dem Schrank, wischte den Boden auf und stellte in der Küche einen Espresso auf. Sie wartete bis der Kaffee in der italienischen Kanne hoch gestiegen war. Sie mochte dieses Schauspiel für alle Sinne: Das röchelnde Geräusch, das den baldigen Genuss versprach, den Duft, der sich langsam ausbreitete und schließlich den dunkelbraunen, heißen Saft, den sie in ihre Tasse goss. Während sie auf all das wartete, bereitete sie dem Siamkater sein Frühstück vor - das edle, teure Katzenfutter natürlich, das schöne Frauen in romantischen Werbespots ihren felinen Freunden kredenzten. Vielleicht war es das Bedürfnis wenigstens ein wenig an diesem Katzen-und-Frauen-Mythos teil zu haben, vielleicht aber auch das schlechte Gewissen, das sie auf Grund ihres - ja - Hasses auf das unschuldige Tier plagte, das sie veranlasste zu eben jenem sauteurem Katzenfutter zu greifen. Bhumipol kam sofort angelaufen - nur in diesen raren Momenten schnurrte er wie andere Katzen auch. Ein Schnurren, das nicht ihr galt, sondern nur dem exquisitem Futter: Lachs, Kaninchen, Kalb und Ente. Sie sorgte für regelmäßige Abwechslung - schließlich war sie Genießerin und diesbezüglich sollte es der Kater nicht schlechter haben als sie selbst.
Die dampfende Kaffeetasse in beiden Händen ging sie ins Wohnzimmer. Erst jetzt erinnerte sie sich wieder an den morgendlichen Schock. Ein muskulöser junger Mann im ärmellosen, weißen Leibchen grinste ihr frech entgegen. Die üppigen braun gebrannten Oberarme waren mit Tribal-Tattoos geschmückt, die braunen Haare hatten knallrote Spitzen, die Augen waren fast schwarz und volle Lippen gaben eine Reihe blenden weißer Zähne frei. Ein Träger der blauen Montur hing über seine linke Schulter. "Coca Cola Light"-Mann - genau so würde sie ihn Karin schildern. Sie spürte, wie sie errötete in Erinnerung an den Anblick, den sie ihm vor nicht ganz einer Stunde geboten haben musste. Kurz trafen sich die Blicke und die Zeit blieb stehen - wie immer, wenn sich zwei Menschen voll Begierde in die Augen schauen. Espressobraun schoss es ihr durch den Kopf und um die unangebrachte Magie zu brechen, drehte sie sich um und warf den Computer an. Sie spürte noch immer seinen Blick. Flucht war unmöglich - zumindest in den nächsten Wochen - und so wandte sie sich wieder ihm zu und hob fragend die Tasse. Sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter - er nahm ihre Einladung zum Kaffee wohl an. Also kehrte sie um, goss eine zweite Tasse ein, stellte sie mit Milch, Zucker und einem Glas Wasser auf ein Tablett - sie hatte während ihres Studiums kellneriert - und servierte. Im Hintergrund fauchte der Kater. (Fortsetzung folgt)
602 mal erzählt

7
Jun
2007

Siamkater (1)

"Scheiße!", fluchte Julie – genau die hatte Bhumipol im Vorraum hinterlassen. Und während sie in die Küche abbog, um einen Fetzen zum Aufwischen des stinkenden Protestsignals zu holen, folgten ihr seine blauen Augen. Als sie wiederkam, hatte er es sich auf dem Korbstuhl in der Ecke gemütlich gemacht und beobachtete sie beim Saubermachen. Julie spürte den Zorn in sich aufsteigen. Sie konnte gar nicht mehr sagen, wie oft sie auf allen Vieren den Dreck des Katers weg geputzt hatte. Angefangen hatten die übel riechenden Unmutsignale direkt nach Christians Auszug. Immerhin war er es, der vor drei Jahren mit der Hand voll Siamkatze vor der Türe gestanden ist. Dabei wollte sie gar keine Haustiere. Sie wollte auch keine Kinder. Niemanden zum Versorgen und Erziehen. Christian auch nicht. Bis er dann zu Sonja gezogen ist. Heute haben sie zwei Kinder und weil Sonja eine Katzenallergie hat, blieb Julie schließlich Bhumipol. Anfangs war ihr das recht – eine letzte Erinnerung an diese große Liebe. Der Siamkater reagierte auf die Trennung auf seine Art. Drei Wochen lang verging kein Tage, ohne dass sie die Spuren seines Protests entsorgte. Vielleicht lag es daran, vielleicht an den kühlblauen Augen, an der edlen Rasse oder schlicht am Charakter des Tieres – Julie mochte ihn nicht. Und sie war sich ziemlich sicher, dass auch er sie nicht leiden konnte. Und trotzdem behielt sie ihn. Warum wusste sie selbst nicht mehr. Und so strafte er sie, wann immer sie eine Nacht weg blieb und er protestierte, wann immer jemand bei ihr übernachtete. Die wenigen Männer, die seit Christians Auszug in Julies leben getreten waren, hatten kaum Verständnis für die Allüren des Katers. Aber wer hat schon Verständnis für Katzendreck im Schuh und Erbrochenes auf grauem Kaschmir?Julie und Bhumipol teilten ihr Schicksal, wie eines jener alten Ehepaare, die nie auch nur ein wenig gemeinsames Glück erfahren hatten, an dem sie sich festhalten konnten.
Die Ursache für Bhumipols Ärger war - wie sie mutmaßte - das Baugerüst, das die vorderen Räume ihrer Wohnung fast völlig verdunkelte. Die Fassade des Wohnhauses wurde restauriert und dabei sollten auch gleich die Fenster ausgetauscht werden. Und auch Julie war nicht gerade entzückt von den wochenlangen Bauarbeiten, die Schmutz und Lärmbelästigung mit sich brachten. Schließlich arbeitete sie als Übersetzerin von Zuhause aus und all das würde ihre Arbeit ziemlich beeinträchtigen. Sie fuhr den Computer hoch und spazierte unterdessen die Fensterfront ab. Weil sie im vierten Stock wohnte, hatte sie nie Vorhänge gebraucht. Einzig im Schlafzimmer hatte Christian - der Langschläfer - damals ein Rollo montiert, um nicht vor der Zeit von der Sonne geweckt zu werden. In allen anderen Räumen war nie Sichtschutz notwendig gewesen. Der Computer begrüßte sie mit vertrautem Geräusch. (Fortsetzung folgt.)
937 mal erzählt

1
Jun
2007

Hochzeitsschallplatten

platenspieler

Der Erstgeborene stellt eine Hochzeitsschallplatte zusammen. Soul auf Vinyl – ein Geschenk für Freunde. Es ist schon die zweite in diesem Jahr. Es wird wieder geheiratet. Der Erstgeborene legt viel auf Hochzeiten auf. "Soul auf einer Hochzeit?", hat ein Musiker bei unserer Hochzeit verwundert gemeint. Aber Soul kommt gut auf Hochzeiten, nur auf die Texte darf man nicht so hören. Soul heißt Seele und Seele heißt Schmerz. Ich höre auf die Texte. Von der anderen Frau, dem anderen Mann singen sie, von Tränen und Suff, Eifersucht und Lüge. Von allem, was Paare kennen, vor und nach der Hochzeit. Aber was sie in Verbindung mit dem Heiraten gar nicht hören wollen, sollen, müssen – also Positives her: "Something tell's me I'm into somethin good.". ."Dieser Positivismus all dieser Hochzeitsschallplatten", stöhnt der Erstgeborene, der nie heiraten wird und legt "Strangers in the night" von Gloria Lynn auf. Wir trinken Rioja. "Wenn wir uns jemals scheiden lassen, machst uns einen Scheidungssampler?", frage ich. "Ja, mit einer Wut- und einer Enttäuschungsseite", freut er sich. Soul gehört in jede Ehe
998 mal erzählt

31
Mai
2007

Nachtrag zu den Zuckermelonen

Soundtrack
444 mal erzählt

Zuckermelonen (5. und letzter Teil)

"Gute Nacht", sagte Karl mit schmierigem Blick und plötzlich waren sie allein. Sie musterte ihre Nägel – sauber, trotz der Küchenarbeit. Schon ihre Mutter hatte gelästert, dass sie nie saubere Fingernägel hatte. Er starrte auf die Melonen. Dann sahen sie sich an. Als er sie auf die Anrichte hob, dachte sie kurz darüber nach, wie sich das mit seiner Zwangsneurose vereinbaren ließ, dann gab sie sich ganz seinen verschlingenden Küssen hin. Erst jetzt merkte sie, wie hungrig sie war. Wie lange sie auf so einen gierigen Mund gewartet hatte. Sie züngelten nacheinander, rissen die Mäuler weit auf, um sich gegenseitig zu verschlingen. In ihrer Gier stießen sie immer wieder mit den Zähnen aneinander. Und dann die Hände. Sie spürte wie seine Hände ihre Brüste kneteten, wie sie sich nach und nach in die zu engen Jeans drängten. Sie hatte heute Morgen zu den knapp sitzenden Hosen und ihren alten Cowboyboots gegriffen – eine unbewusste Sicherheitsmaßnahme, die wohl vergebens war. Denn schon öffnete er den Hosenknopf und ruckelte am Bund. Sie küssten sich weiter, während sie versuchte ihm entgegen zu kommen. "Die Stiefel", dachte sie: "Mit den Stiefeln an, geht da gar nichts." Dabei wollte sie so sehr. Sie wand sich, streckte ihm ihr Becken entgegen und konnte ihren Mund nicht von seinem lassen. Endlich verstand er, drehte sich um und machte ihr den Stiefelknecht. Sie lachten beide, als sie ihn in den Hintern trat. Dann zog er ihr die Jeans und den Slip aus. Sie rutschte von der Anrichte und stand etwas verloren in der Küche, die Füße auf ihren Hosen, unten ohne, in BH und Hemd. Er ging zwei Schritte zurück und musterte sie voller Vorfreude – wie ein besonders schönes Stück Fleisch, auf dessen Zubereitung er sich freute. Die Zuckermelonenfrau ganz nackt und appetitlich und er, der Koch, in voller Montur. Bevor er vor ihr auf die Knie ging, zog er ihr noch das Hemd und den BH aus. Sie ließ es mit sich geschehen. Er hielt ihre Brüste in seinen nach oben gestreckten Händen, während er ihr Geschlecht einatmete. Er war berauscht von ihrem Duft und drang mit Nase und Mund immer weiter durch ihr weiches Schamhaar. Sie stöhnte. Sie wankte und griff nach seinen Haaren. Er umklammerte ihre Beine und hob sie wieder auf die Anrichte, um besser an sein Amuse Bouche zu kommen. Er hörte ihren Atem, ihr Gurren, und als er kurz aufblickte, sah er den Genuss in ihrem Gesicht. Ebenbürtig seinem Genuss. Nach der Vorspeise zwischen ihren Schenkeln gingen beide zum Hauptgang über: lustvolle Schweinereien in der ganzen Küche, die jeder HACCP-Kontrolle widersprachen. Sie war so hungrig.

Irgendwann saßen sie sich am kleinen Küchentisch gegenüber. Zwischen ihnen eine Flasche Redmont von Markowitsch und ein Teller mit Schweinereien der anderen Art: feine Blutwurst, kalter Braten, Grammelschmalz und kräftigem Speck. Daneben ein Käseteller und köstliches Brot. Sie hatte seine Kochjacke um, ein Bein angezogen und tunkte genüsslich Blunzenstücke in scharfen Senf. Hinter ihr am Boden lagen ihre Boots, daneben die Hose und irgendwo Hemd und BH. Was für ein Stillleben. Er betrachtete sie, während er Wein trank. Worte waren unangebracht, die Stille trotzdem schwer zu ertragen. Er stand auf und schaltete seinen Küchen-CD-Spieler an. "The world was moving and she was right there with it" – die Talking Heads "Little Creatures". Das hatte sie schon ewig nicht mehr gehört. Zu "Creatures Of Love" tanzten sie dann beide durch die Küche: die Zuckermelonen mit seiner Kochjacke bekleidet und der Koch mit freiem Oberkörper.

Später, viel später, als sie sich, längst wieder angezogen, das letzte Stück Blutwurst vom Teller nahm, sah er das ihre Nägel wieder Trauer trugen. Schnell schloss er die Augen und küsste sie noch einmal voller Leidenschaft. Das Blutwurst-Senf-Gemisch in ihrem Mund schmeckte köstlich.

Die Buchpräsentation war ein rauschendes Fest. Kompositionen des gefeierten Kochs wurden auf kleinen Tellerchen gereicht. Stella verkostete eben das "Tartare von Blutwurst und Zuckermelone mit Balsamico Trauerrand" als sie ihren Namen hörte. "Ohne meine Frau wäre dieses Buch wohl kaum zustande gekommen", erklärte Daniel soeben. Er, der Koch und die vielen Gäste blickten in ihre Richtung. Sie errötete. Irgendwann putzte sie sich mit einem Zahnstocher verstohlen die Nägel. Sie hatte das kleine Schwarze an, High Heels und kein Höschen. "Tartare von Blutwurst und Zuckermelone mit Balsamico Trauerrand" – wie war er bloß darauf gekommen?
617 mal erzählt

30
Mai
2007

Zuckermelonen (4)

Daniel war hocherfreut, dass sie den Kontakt zum genialen Koch gehalten hatte. Sie könne ja schon einmal mit den Vorbereitungen zum neuen Buch beginnen, meinte er. Man habe ihn eben in den Piemont eingeladen – die Trüffelsaison. Gemeinsam suchten sie das kleine Lokal auf, um das Besprochene zu vereinbaren. Sie würde sich durch die Speisekarte kosten und Rezepte für das Buch auswählen. "So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe", erklärte der Mann: "Du wirst verwöhnt und das Buchprojekt geht voran." Ihr war nicht ganz wohl bei diesem Gedanken. Sie würde gerne an dem kleine Tisch in der Küche Platz nehmen, bat sie den Koch an diesem Abend, so könne sie ihm besser auf die Finger schauen und wenn möglich zur Hand gehen. Daniel war begeistert. Der Koch auch - bis er ihr auf die Finger schaute. Das Buchprojekt lag ihm am Herzen – so eitel war er – und er stimmte zu.

Als sie in der Woche darauf zu ihrem ersten "Küchendienst" erschien, fühlte sie sich vor allem im Weg. Er ließ ihre Unterstützung nicht zu, so sehr sie sich auch erbot "niedere Dienste" zu leisten und so oft sie auch beteuerte "Weltmeisterin im Zwiebelschneiden zu sein". Er hatte hygienische Bedenken und die Melonen belasteten ihn. Beim Grappa danach war alles wieder gut. Erst am vierten Abend, als sie ihre Hilfe fast schon zu hartnäckig aufdrängte, fasste er sich ein Herz. "Ich habe da so eine Tick", gestand er, so wie er schon einiges bei ihren gemeinsamen Besäufnissen gestanden hatte: "Zwangsneurose: Sauberkeit." Er schaute auf ihre Hände, sie errötete. Stella erwiderte seinen Blick nervös, verwirrt... schuldbewusst? Wortlos nahm er sie am Arme, führt sie zum Waschbecken, umfing sie von hinten und wusch ihre Hände, mit einer Nagelbürste schrubbte er ihre Nägel sauber. Er spürte die Zuckermelonen auf seinen Oberarmen. Sie berauschte ihn. Sie spürte seinen Schwanz in ihrem Rücken. Sie lösten sich voneinander und arbeiteten schweigend zusammen. Im heißen Küchendunst hackte sie Zwiebel und er kochte sich seine Geilheit aus dem Leib.
536 mal erzählt

29
Mai
2007

Zuckermelonen (3)

Nichts desto trotz saß sie nur zwei Tage später wieder in dem kleinen, feinen Lokal. Daniel war auf einer Weinreise – sie war hungrig und für sich alleine zu kochen, freute sie nicht. Er würde mit dem Koch ein Kochbuch schreiben, hatten sie in jener alkoholgeschwängerten Nacht vereinbart. Es gab also eine Art Partnerschaft zwischen ihm und ihnen – oder vielmehr Daniel, aber war das so wichtig? Die meisten seiner Bücher hatte sie mitverfasst. Das musste niemand wissen. Sie waren ein Team. Sie fand also nichts dabei kurz in die Küche zu schauen, "Hallo" zu sagen und um ein Überraschungsmenü zu bitten: "Nicht zu viel und was du gerade da hast – und kochen magst." Man duzte sich nach all den gemeinsamen Grappas.

Karl, der schwule Kellner, hatte ihm gleich berichtete, dass sie da war. Karl kannte seinen Geschmack – auch wenn er selbst für diese Art von Frücht(ch)en keine Verwendung hatte. Er wusste nicht, ob es ihm recht war, dass sie so bald wieder gekommen war – und noch dazu alleine. Zur Vorspeise servierte er Salat mit roten Linsen und Pulpo – zu gerne hätte er sich an ihr festgesaugt. Zur Hauptspeise ein Steak – blutig, wie ihr Beruf. Zum Dessert feine Chilischoten mit edler Bitterschokolade überzogen – scharf und süß zugleich. Sie hatte die Botschaft wohl verstanden, denn als er um Mitternacht aus der Küche kam, war sie noch da. Gemeinsam tranken leerten sie die Flasche Pinot Noir, die sie zielsicher bestellt hatte. Er wollte sie einladen, sie bestand darauf wenigstens das Essen zu zahlen.

Sie lachten viel und führten Seelenverwandschaftsgespräche – über den Wein, das Buch, Bücher, Musik, Filme. Sie tranken Grappa und die Zuckermelonen riefen nach ihm. Die Fingernägel aber, mit ihrem Trauerrand, verhinderten das Schlimmste. Er bat sie wiederzukommen, Menüs auszuprobieren – für das Kochbuch, für Daniel. Als Karl sie allein ließ, grinste er dreckig.
Sie kam wieder, nicht am ersten, nicht am zweiten, aber am dritten Tag. Spät erst, wie beim letzten Mal. Er kochte Flusskrebse und Kalbsnieren und ein Souffle – aufgeblasen und riskant, wie die sich anbahnende Affäre. Als sie dann nach Lokalschluss wieder miteinander tranken, glaubte er den Duft der Zuckermelonen so deutlich wie nie zuvor wahr zu nehmen. Nur ein Blick auf ihre dreckigen Nägel, rettete ihn, bevor ihm die Sinne schwanden.
521 mal erzählt

27
Mai
2007

Zuckermelonen (2)

Er war nur kurz in den Speiseraum gekommen. Hans, sein Geschäftspartner, wollte ihm Daniel, ihren Partner, einen Gourmetjournalisten, vorstellen. "Und das ist Stella", sagte der und Stellas Blick hatte etwas von Erdbeeren mit grünem Pfeffer. "Freut mich, hoffe, Sie fühlen sich bei uns wohl", sagte er zu den Zuckermelonen in dem schwarzen Body. "Ich bin mir fast sicher, dass das so sein wird", antwortete sie lächelnd. Sie bestellte. Geschickt hatte sie die Leckerbissen auf der Karte gefunden. Er zuckte unmerklich zusammen, als er ihre Nägel sah.

Erst beim dritten Grappa, registrierte sie die hungrigen Blicke des Koches, der sich beim Dessert zu ihnen gesellt hatte. Sie genoss die Beachtung, denn Daniel schenkte schon längst einer guten Flasche Wein oder einem ausgeklügelten Menü mehr Leidenschaft als seiner Partnerin. In den 14 Jahren ihrer Beziehung war Eros ein wenig eingenickt. Geblieben war die gemeinsame Liebe zu feinem Essen und gutem Alkohol – Wein, Whiskey und Wodka. Dabei konnten sie, als sie sich damals beim Kleinformat kennen lernten, kaum die Finger voneinander lassen. Sie waren schon ein eigenartiges Paar: der Lebemann von der Restaurantseite und die Polizeireporterin. "Bürofick bringt Unglück", hatte der Sportreporter geätzt und auch der Chefredakteur drückte der aufkeimenden Beziehung sein tiefstes Misstrauen aus. Aber das war lange her. Längst hatte Daniel Karriere abseits vom Tageszeitungsjournalismus gemacht und regierte souverän über Gedeih und Verderb von Köchen und Winzern. Stella schrieb immer noch über Mord und Totschlag – mittlerweile aber in Magazinformat.

Sie tranken noch mehrere Schnäpse in dieser Nacht und am nächsten Tag wusste sie wieder einmal nicht, wie sie nach Hause gekommen waren und was genau noch passiert war. Als sie mit schmerzendem Schädel erwachte, erinnerte sie sich aber an die hungrigen Blicke des Kochs. Wie genau sie darauf reagiert hatte, war ihr entfallen. Inbrünstig hoffte sie, nichts getan zu haben, was ihr peinlich sein müsste. Denn obwohl Stella fähig war, die Nachbarn von Mordopfern über intimste Details auszuhorchen, verfügte sie über ein ausgeprägtes Schamgefühl, wann immer sie "privat" unterwegs war.
531 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

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