31
Okt
2010

Stormy weather

Jetzt ist er also da, der Föhn. Schon seit ich wieder in der fremden Kindheitsheimat angekommen bin, zählt die Mutter seine Vorboten: die Wolken, die klare Luft, die hohen Temperaturen, der Anruf der Schwägerin, die Betrunkenen auf den Straßen, unkonzentrierte Autofahrer und ihre und meine Launen. Jetzt ist er da und stürmt durch Kopf und Seele, rückt die Berge erschreckend nahe und lässt die Mutter Messer wetzen. Böse, schimpft sie mich, gemein und undankbar, schon wieder packt sie die 50 Jahre alten Geschichten voller Hass und Verzweiflung aus, alle Register zieht sie, bis ich aufbrause, letztendlich weine und fliehe.

Schon gestern ist der Föhn über die Stadt und uns hereingebrochen. Gestern also habe ich mich auf die Hungerburg geflüchtet, alleine, die Mutter war zu erschöpft für einen Ausflug mit der neuen Bahn. Und so fuhr ich mit dem Bus in die Stadt, wie ich es zuletzt vor mehr als 20 Jahren gemacht habe, ging den vertrauten Weg zur vertrauten Haltestelle und war doch eine Neue, Andere. Alle sieben Jahre, sagt man ändere sich der Mensch, seien alle Zellen ersetzt, erneuert. Die Erinnerungen bleiben und tauchten auf mit jedem Schritt, mit dem ich die vertrauten Wege abging. Erst unsicher und suchend, dann immer mehr wiedererkennend. Als Kind war die Mutter hier mit mir spazieren, später als Teenager war ich auf der Seegrube Schifahren und noch später saß ich mit dem netten schwulen wohlbeleibten Radiomoderator in der „Frau Hitt“ auf ein Bier. Und dann die Stelle am Inn, wo ich als Mädchen dem Fotografen Modell saß, die Bushaltestelle, wo ich auf den Bus wartete nachdem ich zur Frau geworden war, gleich ums Eck von meinem Kindergarten. Hier ein Plätzchen, wo wir heimlich gekifft haben, dort eines, wo ich innige Küsse getauscht hab und da hab ich geweint.

Abends dann ein Treffen mit der Vergangenheit, mit einer Schulkollegin, ja, Freundin von damals. Vertraute Fremde, wie anders ist mein Leben verlaufen als ihres und doch treffen wir uns da und dort wieder, Frauen in der Lebensmitte eben. Cafe Central, Kellertheater, Landesstudio, all das lässt mich ahnen, wie es gewesen wäre, ich gelebt hätte, wäre ich nicht nach Wien gegangen. Reich beschenkt hat mich das Leben; das ist mir wohl bewusst. Auch wenn die Mock Turtle immer wieder tief drinnen ihr pathetisches Klagelied anstimmt, in das ich oft zu gerne einstimme, mein Leben ist voll von Geschenken und Wundern.

In der Nacht hat dann der Föhn am alten Haus geruckelt, gezerrt, auch an den Nerven, an der Kraft und heute morgen brach dann der Hass hervor, stürmisch und böig, wie der warme Fallwind, der mich, uns taumelnd macht, fallen lässt, verfallen. Und plötzlich ist das kleine Mädchen wieder da, die kleine Turtle mit ihrem großen Schmerz und weil die Mutter nur mehr mit Worten zuschlägt, schlägt sie sich selbst mit Händen. Nur mehr bis morgen Abend muss ich hier bleiben, dann darf ich zurück in mein Leben, in dem doch jetzt auch nicht zuhause bin, in dem ich mich gerade eben neu einrichte. Stürmische Zeiten.

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Jossele - 31. Okt, 18:29

Der Föhn deckt die äußeren Schichten ab, schmilzt brüchig überlagertes weg.
Das Reizbare hat was, wahrscheinlich etwas, das über Kopfweh hinausgeht.

Na und Spurenfindung ist nicht der Übelsten eines.
Klar sind wir jetzt und hier, aber ist Gegenwart nicht ein dünnes Häutchen, das uns die Zeit drüber legt?
Eigentlich sind wir Summe von etwas, und da ist alles jetzt.

katiza - 31. Okt, 18:47

Ja - ich stimme Ihnen in allen Punkten zu, Herr Jossele, vor allem beim Föhn, der Ängste und Ärger, Süchte und Empfindsamkeiten abdeckt und bloß legt, das Kopfweh ist da noch das Greifbarste, dagegen kommt man an, gegen das andere nur schwer.
Jossele - 31. Okt, 20:32

Mit dem Anderen müssen wir zu leben lernen, denk ich.
Aber echt, ich tu mir auch schwer damit.
testsiegerin - 31. Okt, 18:47

https://www.youtube.com/watch?v=gVKlR9ojAKw

Aber dennoch nicht verzagen,
widerstehn.
Leben ist Brücken schlagen
über Ströme, die vergehn.
Leben ist Brücken schlagen
über Ströme, die vergehn.

katiza - 31. Okt, 18:54

Liebe Testsiegerin, danke, wie wahr das mit den Brücken ist - und wie treffend, denn die Phalli im Bild sind Brückenpfeiler...
schneck08 - 1. Nov, 00:17

ich beneide euch um euren föhn. hier fallen nur die blätter und selbst ein stürmchen fehlt, bisher.

katiza - 1. Nov, 11:33

Beneiden Sie uns nicht; Herr Schneck. Georg Trakls Worte im gleichnamigen Gedicht treffen es sehr:

Föhn


Blinde Klage im Wind, mondene Wintertage,

Kindheit, leise verhallen die Schritte an schwarzer Hecke,

Langes Abendgeläut.

Leise kommt die weiße Nacht gezogen,

 

Verwandelt in purpurne Träume Schmerz und Plage

Des steinigen Lebens,

Daß nimmer der dornige Stachel ablasse vom verwesenden Leib.

 

Tief im Schlummer aufseufzt die bange Seele,

 

Tief der Wind in zerbrochenen Bäumen,

Und es schwankt die Klagegestalt

Der Mutter durch den einsamen Wald

 

Dieser schweigenden Trauer; Nächte,

Erfüllt von Tränen, feurigen Engeln.

Silbern zerschellt an kahler Mauer ein kindlich Gerippe.

 

 

es gibt Van Gogh Bilder, die aussehen, wie der Föhn sich anfühlt....

 

 

profiler1 - 1. Nov, 11:38

der föhn ist das vorletzte was ich an tirol vermisse....

katiza - 1. Nov, 11:42

Und das Letzte?
profiler1 - 1. Nov, 16:28

die mangelnde kritikfähigkeit bezüglich der eigenen unzulänglichkeiten, nirgendwo anders habe ich das in so ausgeprägter form erlebt.
katiza - 1. Nov, 21:59

.

Als ich Ihren Kommentar las, fühlte ich mich betroffen, ja kurz angegriffen.. ich bin es, ein Bergmensch, genau das ist ein Beweis...

profiler1 - 2. Nov, 11:53

das ist mir jetzt aber ein wenig unangenehm, es war nicht meine absicht, dass sie sich auf die zehen gestiegen fühlen.
es sollte lediglich das feststellen eines gesellschaftlichen allgemeinzustandes sein.
ConAlma - 1. Nov, 14:54

Ich mag den Föhn, weil er herausputzt, was weg muss. Ich fühl mich immer stürmisch angetrieben, neu motiviert. So bin ich's froh, den kalten Wiener Wind und Nebel gegen ihn eingetauscht zu haben.


anyway, concerned ...

katiza - 1. Nov, 22:16

Er zaust; Pappbecher liegen herum und Blätter fliegen durch den Garten, die Mutter kehrt verzweifelt gegen die Unordnungen an, Unruhe. Und heute - wie immer - war es wieder der Föhn, der mich verletzt, der mmich böses, gemeines weib geschimpft hat, der Föhn, der das Durcheinander Fliegende weiter zerstoben hat, nur der böse Föhn und das Leben...und ich tröste sie und verzeihe. Es ist der Föhn. Das kleine Mädchen kann nichts richig machen, wenn der Wind geht.

anyway, thx

rinpotsche - 1. Nov, 22:22

...und diese wirkenden Muttermächte, die einem so wenig warmen Wind ins Gesicht blasen. Woher weht der bloß?

katiza - 1. Nov, 22:36

Aus der Po-Ebene und noch südlicher ;-)?

Und die Muttermächte?  Die Mutter ist der Anfang, darin liegt viel Macht, sie lehrt, vermittelt, auch sich.....

rinpotsche - 1. Nov, 22:40

Na, wenigstens hab' ich Sie zum Grinsen gebracht (die links lassen meinen Lap abstürzen, wofür Sie aber nichts können!). Meine Föngeschichte der letzten Woche erzähle ich Ihnen aber nicht!
katiza - 1. Nov, 22:46

OOOooooooooch...bütte! ich könnt noch a bissl mehr Grinsen brauchen, hier im anderne Zuhause weht nämlich auch ein anderer Wind....
rinpotsche - 1. Nov, 22:52

Möge der Wind in Deinem Rücken nie Dein eigener sein! (alter Indianerehrensatz)
katiza - 1. Nov, 23:02

Danke sehr fürs Lachen machen, Frau Rinpotsche
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