21
Sep
2010

.Dort

Roemerpark

Ich war heute wieder an jenem Ort. Als die Mock Turtle klein war, hat sie dort gespielt. Dort waren ihr Piratenschiff und ihr Indianerlager, dort hat sich ihr Fahrrad in einen wilden Rappen verwandelt. Mit ihren Freunden G. und R. rauchte die kleine Turtle Waldtschick und briet gestohlenen Türken – wie man den Mais in der Heimat nennt - über dem Lagerfeuer. Mit der zauberhaften Amelie und ihren Brüdern erlebte sie Abenteuer in erdachten Welten. Im Brunnen unter dem Marterl beobachteten die Kinder wie sich Löwenzahnstiele kringelten. Über jenes Feld neben dem großen Obstgarten waren der Vater, als er ein kleiner Bub war, seine Mutter, die große Nenn-Tante und Frau Mariann zum Bunker gelaufen. Bombenalarm, die Tante verlor die Tasche und der kleine Bub sammelte alles wieder ein. Oft hab ich mir das vorgestellt und dann manchmal Angst gehabt, wenn Flugzeuge übers Haus flogen, dass wieder ein Krieg käme und man dort hinüber laufen müsste. Ich war im Winter dort rodeln und im Sommer hab ich Drachen steigen lassen, einen ganz besonderen, einen Drachenflieger, der hat sich ausgeklinkt und ist langsam zu Boden gesegelt.

Heute ist alles anders. Der Park ist schön, ein kleiner See, ein Trinkwasserbrunnen, Bänke, Bäume, Schaukeln, ein Fußballplatz, ein Eisstockplatz… die kleine Hütte, dort. Viele Menschen in diesen Abendstunden. Sie sind fröhlich, ich traurig.
Nach Hause gehe ich auf meinem alten Schulweg. Ist die junge Frau, die vor mir geht und wie ich traurig durch den Park streunt aus demselben Grund hier wie ich? Ich wische den Gedanken weg und wähle den Weg durchs Waldele. Tägliche Verweilstation am Heimweg von der Schule, ein kleiner Bach am Rand ist längst in Beton gezwängt. Damals veranstalteten wir dort Rindenschiffregatten. Die Rinde stammte von den Bäumen, die noch immer dort stehen. Ich drückte mich an sie wie damals beim Versteckelex und kurz fühlte es sich an wie einst. Und dann sah ich die kleine Turtle, die die rote Schultasche mehr hinter sich her schleifte als trug, die Haare hochgesteckt im Gogl und doch in Auflösung begriffen; sie lutscht an einer Haarsträhne, schmutzige Finger und ein Lächeln. Den Weg bergab läuft sie fast; viele neue Häuser bemerke ich. Dann die Kurve, in der einst die schreckliche Bluttat geschehen war; nach einer Messerstecherei war tagelang ein dunkler Fleck auf der Straße zu sehen, die kleine Turtle hielt jedes Mal an dieser Stelle den Atem an, ich tue es noch immer. Die letzten 200 Meter. Links die kleine Schneiderei, die Mutter ließ oft schneidern, eher selten dort. Die kleine Turtle spielte dann mit dem kleinen Ballon, mit dem man die Länge markieren konnte, sammelte Stecknadeln auf und Stoffreste. Gegenüber die Arbeitersiedlung, wo die Freundin aufwuchs. Heute schmücken balinesische Wimpel die winzigen Balkone, unter denen die kleine Turtle sich versteckt hat. Und dann mein Elternhaus.

Ich war an jenem Ort. Papa..
Heimkommen?
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Jossele - 22. Sep, 12:55

Manche Orte sind Zeitreisen, bringen uns in zurück und machen eine Tür zum Kindsein auf und zu Menschen die nicht mehr da sind.
Und bewußt wird, Alles ist jetzt in uns. So alt kann man gar nicht werden, dass die waghalsige Klettertour auf einen Kirschbaum oder ein erster nasser Kuss, das blutende Knie in der zerrissenen Hose (weil Jeronimo läßt sich nicht fangen), die glühenden Wangen (na ja, es waren ja wirklich viele Fensterscheiben die da nach Zerstörung riefen), und ... , nicht immer gegenwärtig wären.
Spuren hinterläßt alles.

katiza - 22. Sep, 14:23

...und zu Menschen die nicht mehr da sind...Danke, Herr Jossele.
nanou - 22. Sep, 14:14

Wieder fällt mir auf, wenn Sie aus Ihrem ErLeben schreiben, gehe ich gern ein Stück mit Ihnen auf Reise und bemerke irgendwann, wie meine Assoziationen eine Abzweigung in eigen Erlebtes finden.

katiza - 22. Sep, 14:25

Das finde ich sehr schön und das macht mich glücklich nanou, jeder Schritt, den ein andrer Mensch mit einem geht, hinterlässt weniger einsam...
rosmarin - 22. Sep, 22:54

selten.... bin ich so nah an diese vergangenen zeiten herangekommen und ich ahne.... wie nah ich herankommen werde.... wenn eines tages mein vater....

Nante - 24. Sep, 15:54

schön erzählt ... anheimelnd

Es ist eigenartig, wie unser "Heimatgefühl" mit dem Alter und der Entfernung von der Kinderheimat stärker wird.
Am Weißen See in Berlin Nord sieht es noch genau so aus wie vor fünfzig Jahren ..
die Kinder sind anders gekleidet.. die Spielzeuge auf den " Buddelplätzen" neu .

Aber sonst: das Lachen, die in den kleinen See hineinhängenden Weidenzweige , die steineren Sagenfiguren .... alles gleich geblieben
ich brauche halt zum Umrunden der Wasserfläche statt 25 Minuten 45 von diesen Zeitanzeigern ...

amadea - 24. Sep, 22:39

Waldele, was für ein hübsches Wort.

Anousch - 25. Sep, 12:07

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