Mops (12)
Es war wie in einem schlechten Film. Erika war in die Tiefgarage gegangen, um den Müll wegzuwerfen – auf dem Weg zu Ruth, wo sie Tri abholen wollte. Er wollte heute noch mit Marcel Gassi gehen und später mit seinem Vater ins Kino. Sie war abgelenkt und formulierte in Gedanken ein Mail an Genji. Warum sie rüber zum Familienauto schaute, blieb ihr ein Rätsel. Als sie die Bewegungen darin wahrnahm, war sie irritiert. Rudolf hatte schon vor einer halben Stunde das Haus verlassen und es war auch nicht sein Kopf, der sich da an die Scheibe drückte. Dass sie sich anschlich, war ebenso lächerlich wie unvermeidbar. Sicher, sie hätte auch Lärm schlagen können, aber es lag eher in ihrer Natur, sich erst Klarheit zu verschaffen. Seltsamerweise war sie beruhigt, als sie Andreas erkannte und erst später verwirrt. Dann fragte sie sich, was er in ihrem Auto tat und woher er die Schlüssel hatte. Und dann begann die Zeitlupe.
Wenn der Fluss der Erkenntnis zu strömen beginnt, dann oft in slow motion. Langsam, unendlich langsam, erkannte sie ihren Mann in seinem Schoß. Und gleichzeitig bewegte sich der Strom ihrer Gedanken fast forward. Bilder blitzten auf, Puzzelteile fügten sich zusammen, Worte fanden sich. Und in Sekundenbruchteilen erlebte sie die ganze Palette ihrer Gefühlswelt. Während all dem blieb sie wie angewurzelt stehen und konnte keinen Blick von der Szene wenden. Sie näherte sich so weit es ging. Fasziniert sah sie Rudolfs Kopf, der sich rhythmisch bewegte. Sie sah die Lust in Andreas' Gesicht. Sah wie seine Hände ihren Mann kontrollierten, leiteten, führten, sah seine geöffneten Lippen, geschlossene Augen. Ja, sie glaubte sogar, sein Stöhnen zu hören. Tränen kamen ihr, das Bild verschwamm und sie löste sich von dem Anblick.
Im Aufzug begann sie dann endlich richtig zu weinen. Hemmungslos zu schluchzen. Sie konnte auch nicht aufhören, als jemand zu stieg und war dem Fremden für sein Schweigen dankbar – und dafür, dass er fremd war. Auch dafür, dass er sich bemühte, zur Seite zu sehen. In ihrer Wohnung angekommen, trank sie Vodka. So konnte sie auf keinem Fall zu Ruth, so konnte sie vor allem Tristan nicht gegenüber treten. Es fühlte sich an als hätte sie U-Bahnen im Kopf. Die Gedanken rasten in verschiedene Richtungen. "Bitte zurücktreten. Zug fährt ein." Sie schubsten und drängelten, auf mehreren Etagen, ganz tief drinnen. Fuhren ein, fuhren aus. Sie wusste nicht, auf wen sie zorniger war, den Mann, der sie betrogen oder den Freund, der sie verraten hatte. So viele Lügen. Alles erschien in einem anderen Licht. Nichts war mehr wirklich.
Und plötzlich wurde sie ganz ruhig. Sie beobachtete sich selbst, wie sie die Treppen hinauf ging, um sich das Gesicht zu waschen. Das eiskalte Wasser tat gut und als sie wieder aufblickte erschrak sie ein wenig über die Augen, die sie aus dem Spiegel ansahen. War das sie?
Rudolfs CD-Regal war wohl geordnet. Sie fand daher Lohengrin sofort. Sie legte die CD auf. Drehte die Anlage auf Anschlag. Dann schrieb sie eine SMS an zwei Männer: "ich habe euch gesehen. tristan holt marcel in einer halben stunde." Dann ging sie zu Ruth. Vorher zog sie noch den Lippenstift nach. Elsa sang.
(Fortsetzung folgt)
Wenn der Fluss der Erkenntnis zu strömen beginnt, dann oft in slow motion. Langsam, unendlich langsam, erkannte sie ihren Mann in seinem Schoß. Und gleichzeitig bewegte sich der Strom ihrer Gedanken fast forward. Bilder blitzten auf, Puzzelteile fügten sich zusammen, Worte fanden sich. Und in Sekundenbruchteilen erlebte sie die ganze Palette ihrer Gefühlswelt. Während all dem blieb sie wie angewurzelt stehen und konnte keinen Blick von der Szene wenden. Sie näherte sich so weit es ging. Fasziniert sah sie Rudolfs Kopf, der sich rhythmisch bewegte. Sie sah die Lust in Andreas' Gesicht. Sah wie seine Hände ihren Mann kontrollierten, leiteten, führten, sah seine geöffneten Lippen, geschlossene Augen. Ja, sie glaubte sogar, sein Stöhnen zu hören. Tränen kamen ihr, das Bild verschwamm und sie löste sich von dem Anblick.
Im Aufzug begann sie dann endlich richtig zu weinen. Hemmungslos zu schluchzen. Sie konnte auch nicht aufhören, als jemand zu stieg und war dem Fremden für sein Schweigen dankbar – und dafür, dass er fremd war. Auch dafür, dass er sich bemühte, zur Seite zu sehen. In ihrer Wohnung angekommen, trank sie Vodka. So konnte sie auf keinem Fall zu Ruth, so konnte sie vor allem Tristan nicht gegenüber treten. Es fühlte sich an als hätte sie U-Bahnen im Kopf. Die Gedanken rasten in verschiedene Richtungen. "Bitte zurücktreten. Zug fährt ein." Sie schubsten und drängelten, auf mehreren Etagen, ganz tief drinnen. Fuhren ein, fuhren aus. Sie wusste nicht, auf wen sie zorniger war, den Mann, der sie betrogen oder den Freund, der sie verraten hatte. So viele Lügen. Alles erschien in einem anderen Licht. Nichts war mehr wirklich.
Und plötzlich wurde sie ganz ruhig. Sie beobachtete sich selbst, wie sie die Treppen hinauf ging, um sich das Gesicht zu waschen. Das eiskalte Wasser tat gut und als sie wieder aufblickte erschrak sie ein wenig über die Augen, die sie aus dem Spiegel ansahen. War das sie?
Rudolfs CD-Regal war wohl geordnet. Sie fand daher Lohengrin sofort. Sie legte die CD auf. Drehte die Anlage auf Anschlag. Dann schrieb sie eine SMS an zwei Männer: "ich habe euch gesehen. tristan holt marcel in einer halben stunde." Dann ging sie zu Ruth. Vorher zog sie noch den Lippenstift nach. Elsa sang.
(Fortsetzung folgt)
katiza - 15. Okt, 15:47
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