Spieglein, Spieglein
„Was habe ich nur falsch gemacht?“ fragt Mama am Ende ihrer Kräfte. Juckreiz plagt sie, der Schleudergang, schlimmer als alle Tumorschmerzen, schlimmer als der gebrochene Arm. „Nichts hast du falsch gemacht“, versichere ich ihr in diesen Stunden und den Nächten allein zu weit mit dem Juckreiz und den Spiegelneuronen. Diese heimtückische Krankheit erwische so viele, versichere ich ihr, auch Kinder – und „Viel hast du richtig gemacht, Mama, sonst wäre ich nicht hier“, sage ich immer und immer wieder, bis ich es selbst glaube. Hat sie ja, für sich. Meine kleinen Fehler, ihre kleinen Grausamkeiten wiegen sich auf. Ausgleich, Waage, Spiegel. Ich kratze mich, nach und nach übernehme ich den Juckreiz, ich spüre ihn an den Fußsohlen, den Handflächen, am Kopf. Nachts drückt sie meine Hand ganz fest, nicht aus Liebe, im Kampf gegen das Beißen.

Manchmal, wenn es ihr schlecht geht, verzichtet sie auf Worte mir gegenüber, ihr Blick und die Gestik müssen reichen, dann lächelt sie. Sie ist immer – selbst Nachts wenn sie ihre Beine anzieht um sich wild, fast ekstatisch zu kratzen – klar bei Sinnen. Nur kurz schaffen die in den Ausbildungen gelernten hypnotischen Formeln und beiden Erleichterung – dann bricht das misstrauische Kind wieder vor, greift Raum, währen dich verstohlen meinen Arm kratze. Wir führen keine Mutter-Tochter-Gespräche, wir bereuen nichts, zumindest nicht gemeinsam. Nur das sind wir – gemeinsam. Verschränkt in Befehl und Gehorsam, Regel und Rebellion, Ordnung und Chaos. Mama. Ständig – gequält unter Morphium und Schmerzmittel, Tag und Nacht, müde und munter – gilt es Teppichfalten zu glätten und Vorhänge in Form zu bringen. Der 1. Offizier geht zur Hand und der türkische Nachbar, Bester in der Mennschaft der Königin, der absoluten absolutistischen Herrscherin.

„Ich bin sehr dominant“, erklärt sie der Hospiz Waldelfe: „ich musste immer dominant sein, die anderen waren es nicht“, sagt sie mit schwacher Stimme. Wir verhandeln um drei stunden Freizeit – Fremdbetreuung. Ehrenamt. Das mag sie nicht, keine Fremden, nicht reden müssen: „Es ist alles gesagt.“ Das Theatralische hätte ich vom Vater, hat sie immer gesagt, doch sie ist die echte Drama-Queen, ich war immer nur schwacher Abklatsch, Spiegelneuronen, Spiegelneurosen. Manchmal weine ich, sie wohl auch. Im Spiegel.


Manchmal, wenn es ihr schlecht geht, verzichtet sie auf Worte mir gegenüber, ihr Blick und die Gestik müssen reichen, dann lächelt sie. Sie ist immer – selbst Nachts wenn sie ihre Beine anzieht um sich wild, fast ekstatisch zu kratzen – klar bei Sinnen. Nur kurz schaffen die in den Ausbildungen gelernten hypnotischen Formeln und beiden Erleichterung – dann bricht das misstrauische Kind wieder vor, greift Raum, währen dich verstohlen meinen Arm kratze. Wir führen keine Mutter-Tochter-Gespräche, wir bereuen nichts, zumindest nicht gemeinsam. Nur das sind wir – gemeinsam. Verschränkt in Befehl und Gehorsam, Regel und Rebellion, Ordnung und Chaos. Mama. Ständig – gequält unter Morphium und Schmerzmittel, Tag und Nacht, müde und munter – gilt es Teppichfalten zu glätten und Vorhänge in Form zu bringen. Der 1. Offizier geht zur Hand und der türkische Nachbar, Bester in der Mennschaft der Königin, der absoluten absolutistischen Herrscherin.

„Ich bin sehr dominant“, erklärt sie der Hospiz Waldelfe: „ich musste immer dominant sein, die anderen waren es nicht“, sagt sie mit schwacher Stimme. Wir verhandeln um drei stunden Freizeit – Fremdbetreuung. Ehrenamt. Das mag sie nicht, keine Fremden, nicht reden müssen: „Es ist alles gesagt.“ Das Theatralische hätte ich vom Vater, hat sie immer gesagt, doch sie ist die echte Drama-Queen, ich war immer nur schwacher Abklatsch, Spiegelneuronen, Spiegelneurosen. Manchmal weine ich, sie wohl auch. Im Spiegel.

katiza - 22. Apr, 21:44
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