Rosaroter Frauen-Kram
Was meinen Körper angeht, geht es mir wie den meisten Frauen: Ich bin nicht ganz zufrieden. Die Oberschenkel sind zu fett, das darüber soundso - auch wenn der Liebste das Gegenteil behauptet. Auch die Waden könnten schlanker sein, meine Taille ist ähnlich platt wie meine Füße, die breiten Schultern und der dicke Hals (Blähhals nannte ihn die Mutter) tun ihr Übriges zum Gesamteindruck. Aber mein Busen. Mein Busen ist wunderschön.
Das war nicht immer so. Konrad haben die Jungs die Mock Turtle genannt, wegen der knabenhaften Figur und wohl auch wegen des bubenhaften Auftretens. Wie beneidete sie beste Freundin um die vollen Brüste. Eine Handvoll und nicht mehr, mehr davon ist ordinär, tröstete die Mutter. Aber wessen Hand, überlegte die Turtle, und ob ordinär in dem Fall wirklich so schlimm wäre, bezweifelte sie auch. Irgendwann hatte die Göttin dann doch ein Einsehen und er ist gewachsen.
"Du hast meinen Busen geerbt", erklärte Mama stolz, denn ihrer ist noch jenseits der 70 stramm, fest und rund. So wie meiner, der einen BH eher zur Betonung als zum Halt braucht. Ich zeig ihn gerne her unter engen Bodies oder fein angerichtet im Dekolletee. Und ordinär ist er noch immer nicht, voll und schwer passt er genau in die Hand des Liebsten. Meine Brüste haben kecke kleine Spitzen. Sie gefallen Männern und das gefällt mir. Ich genieße es.
Besondere Sorgen habe ich mir nie gemacht, war zwar theoretisch wohl informiert aber praktisch sah ich wenig Grund zu regelmäßiger Brustuntersuchung. Erst als die Cousine Brustkrebs bekam, wurde ich nervös. Aber die Verursacher der Ängste entpuppten sich als harmlose Zysten. "Unterfutter für meinen Busen" nannte ich sie und versuchte mir die Knötchen als eine Art internen Wonderbra schön zu reden. "Fibrozystische Mastopathie" lautet die Diagnose - mostly harmless.
Nur manchmal werde ich nervös, wie jüngst als sich auf der Linken etwas entzündete. Im Gegensatz zu manch anderen Frauen habe meine keine Namen, sie heißen weder Ernie und Bert noch Hans und Franz sondern einfach die linke und die rechte Brust, gern auch das Brüstel. "Kein Grund zur Panik" sagt die Ärztin und "nur zur Sicherheit" solle ich den Busen untersuchen lassen. Unsicherheit macht sich in mir breit. "Am besten Morgen" ergänzt sie und die Furcht steigt in mir hoch. Das ginge nicht, räume ich ein und wir einigen uns auf den erstmöglichen Termin, drei Tage später - heute.
Als ich ihr Zimmer verlasse, treffe ich im Warteraum eine Ex-Kollegin. Brustkrebs fällt mir ein, während ich sie erkenne, weil ihre Mutter dran gestorben war, hatte sie sich immer vor Brustkrebs gefürchtet. "Vor vier Jahren", erklärt sie wenig später und erzählt von mehreren Operationen. Ich höre nicht wirklich zu, überlege: Hat sie mich an ihren Busen gedrückt? Und plötzlich ist die ganze Welt rosarot, Pink Ribbon Kampagnen in jeder zweiten Zeitung, überall das Wort Brustkrebs, ich sehe auf der Straße Frauen, die Kopftücher nicht aus religiösen Gründen tragen und solche, deren Gesicht die Spuren der Chemo aufweist. Keine Panik, sage ich mir und fürchte mich doch. Der Mutter sag ich nichts, soll sich doch Mama nicht Sorgen um meine Mamma machen.
Im öffentlichen Krankenhaus, in dem mir die Ärztin einen Termin bei ihrer Kollegin zur "Second Opinion" verschafft hat, warte ich. Überall rosarote Brustkrebsbroschüren. Ich blättere ein wenig darin herum. Alles schon tausendmal gelesen, selbst Informationen zusammen gesucht im Job, privat. Keine Lust das Feuer der Angst damit weiter zu schüren. Paare huschen vorbei, türkischer, arabischer, afrikanischer Herkunft. Die Männer begleiten die Frauen mit den Kopftüchern und den langen Mänteln, sprechen für sie, selbst der Sprache nicht wirklich mächtig. Ein junges Paar untersucht neugierig ein Werbegeschenkspaket für die Schwangerschaft. Sie wirken nicht glücklich, erfreut vielleicht, aber nicht glücklich. Die Frau rechts neben mir, die allein da ist, hat das gleiche Paket. Sie packt nicht aus. Sie wirkt nicht traurig, müde vielleicht, aber nicht traurig.
Endlich werde ich aufgerufen. Viel zu laut schließe ich die Türe hinter mir und mache wie geheißen den Oberkörper frei. Meine Brüste wölben sich mir aus dem fleischfarbenen BH mit den festen aber nicht harten Schalen entgegen. Heute wollte ich sie schützen und stützen. Ich streichle noch einmal schnell über die böse Stelle und dann im Ausgleich die andere Brust auch noch. Ich liebe meinen Busen.
Kurz darauf fährt die Ärztin mit dem Ultraschallscanner über meine gegelte Brust. Eine sympathische Frau um die Fünfzig mit beruhigender Ausstrahlung und graugrüne Augen hinter den dünnen Brillen. Tausende Frauen sind wohl schon so vor ihr gelegen, tausende Brüste hat sie gescannt, Mein Blick pendelt zwischen dem Bildschirm und ihrem Gesicht. Der Bildschirm zeigt Mondlandschaften mit Kratern. Die Krater sind die Zysten. Sie misst sie ab, spürt sie auf, fragt nach, erklärt. Verhärtungen, Verkalkungen, kein besonderer Grund zur Beunruhigung, aber sicher ist sicher.
Ob ich es noch drei Wochen aushalten würde, die Ungewissheit, will sie dann wissen. Oder ob ich gleich heute eine Gewebeprobe entnehmen lassen möchte. "Das erhöht gar kein Risiko", versichert sie mir: "Selbst wenn es böse wäre. Aber viele Frauen ertragen die Unsicherheit nicht." Ja ich warte, entscheide ich. Ob jetzt oder später, nichts ist sicher, alles ist unsicher, que sera, sera.
Ich lass mir nicht gern ins Brüstel stechen, ins linke.
"Vielleicht ist nur unser Herz ein wenig geschwollen", mutmaßt die Mock Turtle.

Das war nicht immer so. Konrad haben die Jungs die Mock Turtle genannt, wegen der knabenhaften Figur und wohl auch wegen des bubenhaften Auftretens. Wie beneidete sie beste Freundin um die vollen Brüste. Eine Handvoll und nicht mehr, mehr davon ist ordinär, tröstete die Mutter. Aber wessen Hand, überlegte die Turtle, und ob ordinär in dem Fall wirklich so schlimm wäre, bezweifelte sie auch. Irgendwann hatte die Göttin dann doch ein Einsehen und er ist gewachsen.
"Du hast meinen Busen geerbt", erklärte Mama stolz, denn ihrer ist noch jenseits der 70 stramm, fest und rund. So wie meiner, der einen BH eher zur Betonung als zum Halt braucht. Ich zeig ihn gerne her unter engen Bodies oder fein angerichtet im Dekolletee. Und ordinär ist er noch immer nicht, voll und schwer passt er genau in die Hand des Liebsten. Meine Brüste haben kecke kleine Spitzen. Sie gefallen Männern und das gefällt mir. Ich genieße es.
Besondere Sorgen habe ich mir nie gemacht, war zwar theoretisch wohl informiert aber praktisch sah ich wenig Grund zu regelmäßiger Brustuntersuchung. Erst als die Cousine Brustkrebs bekam, wurde ich nervös. Aber die Verursacher der Ängste entpuppten sich als harmlose Zysten. "Unterfutter für meinen Busen" nannte ich sie und versuchte mir die Knötchen als eine Art internen Wonderbra schön zu reden. "Fibrozystische Mastopathie" lautet die Diagnose - mostly harmless.
Nur manchmal werde ich nervös, wie jüngst als sich auf der Linken etwas entzündete. Im Gegensatz zu manch anderen Frauen habe meine keine Namen, sie heißen weder Ernie und Bert noch Hans und Franz sondern einfach die linke und die rechte Brust, gern auch das Brüstel. "Kein Grund zur Panik" sagt die Ärztin und "nur zur Sicherheit" solle ich den Busen untersuchen lassen. Unsicherheit macht sich in mir breit. "Am besten Morgen" ergänzt sie und die Furcht steigt in mir hoch. Das ginge nicht, räume ich ein und wir einigen uns auf den erstmöglichen Termin, drei Tage später - heute.
Als ich ihr Zimmer verlasse, treffe ich im Warteraum eine Ex-Kollegin. Brustkrebs fällt mir ein, während ich sie erkenne, weil ihre Mutter dran gestorben war, hatte sie sich immer vor Brustkrebs gefürchtet. "Vor vier Jahren", erklärt sie wenig später und erzählt von mehreren Operationen. Ich höre nicht wirklich zu, überlege: Hat sie mich an ihren Busen gedrückt? Und plötzlich ist die ganze Welt rosarot, Pink Ribbon Kampagnen in jeder zweiten Zeitung, überall das Wort Brustkrebs, ich sehe auf der Straße Frauen, die Kopftücher nicht aus religiösen Gründen tragen und solche, deren Gesicht die Spuren der Chemo aufweist. Keine Panik, sage ich mir und fürchte mich doch. Der Mutter sag ich nichts, soll sich doch Mama nicht Sorgen um meine Mamma machen.
Im öffentlichen Krankenhaus, in dem mir die Ärztin einen Termin bei ihrer Kollegin zur "Second Opinion" verschafft hat, warte ich. Überall rosarote Brustkrebsbroschüren. Ich blättere ein wenig darin herum. Alles schon tausendmal gelesen, selbst Informationen zusammen gesucht im Job, privat. Keine Lust das Feuer der Angst damit weiter zu schüren. Paare huschen vorbei, türkischer, arabischer, afrikanischer Herkunft. Die Männer begleiten die Frauen mit den Kopftüchern und den langen Mänteln, sprechen für sie, selbst der Sprache nicht wirklich mächtig. Ein junges Paar untersucht neugierig ein Werbegeschenkspaket für die Schwangerschaft. Sie wirken nicht glücklich, erfreut vielleicht, aber nicht glücklich. Die Frau rechts neben mir, die allein da ist, hat das gleiche Paket. Sie packt nicht aus. Sie wirkt nicht traurig, müde vielleicht, aber nicht traurig.
Endlich werde ich aufgerufen. Viel zu laut schließe ich die Türe hinter mir und mache wie geheißen den Oberkörper frei. Meine Brüste wölben sich mir aus dem fleischfarbenen BH mit den festen aber nicht harten Schalen entgegen. Heute wollte ich sie schützen und stützen. Ich streichle noch einmal schnell über die böse Stelle und dann im Ausgleich die andere Brust auch noch. Ich liebe meinen Busen.
Kurz darauf fährt die Ärztin mit dem Ultraschallscanner über meine gegelte Brust. Eine sympathische Frau um die Fünfzig mit beruhigender Ausstrahlung und graugrüne Augen hinter den dünnen Brillen. Tausende Frauen sind wohl schon so vor ihr gelegen, tausende Brüste hat sie gescannt, Mein Blick pendelt zwischen dem Bildschirm und ihrem Gesicht. Der Bildschirm zeigt Mondlandschaften mit Kratern. Die Krater sind die Zysten. Sie misst sie ab, spürt sie auf, fragt nach, erklärt. Verhärtungen, Verkalkungen, kein besonderer Grund zur Beunruhigung, aber sicher ist sicher.
Ob ich es noch drei Wochen aushalten würde, die Ungewissheit, will sie dann wissen. Oder ob ich gleich heute eine Gewebeprobe entnehmen lassen möchte. "Das erhöht gar kein Risiko", versichert sie mir: "Selbst wenn es böse wäre. Aber viele Frauen ertragen die Unsicherheit nicht." Ja ich warte, entscheide ich. Ob jetzt oder später, nichts ist sicher, alles ist unsicher, que sera, sera.
Ich lass mir nicht gern ins Brüstel stechen, ins linke.
"Vielleicht ist nur unser Herz ein wenig geschwollen", mutmaßt die Mock Turtle.

katiza - 16. Jan, 17:16
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