Eiskaffee mit der Kindheit
Sie war die beste Freundin meiner Kindheit – eine Mädchenfreundschaft wie diese hab ich wohl nie mehr erlebt. Sie wohnte neben uns in der Arbeitersiedlung. Es gibt Fotos, auf denen wir Händchen haltend lachend als Dreijährige durch unseren Garten tollen. Und andere später, auf denen wir ernst schauen.
Sie hatte lange blonde Haare, einen dicken Zopf, der sogar über ihren Popo hinunter hing. Die Haare waren sehr schwer, hat sie mir einmal erzählt, vor allem, wenn sie sie wusch und das war auch sehr mühsam. Sie durfte sie nicht schneiden lassen. Wegen ihres Vaters. Der war streng und manchmal kam auch der Teppichpragger zum Einsatz. Meine Mutter hat eher mit der Hand zugeschlagen. Und sich nachher entschuldigt.
All das fällt mir ein, als ich mich mit der Freundin treffe. Zwanzig Jahre haben wir uns nicht gesehen. Und haben uns lange vorher schon verloren. Wir haben verschiedene Volksschulen besucht und schließlich kam ich ins Gymnasium und sie in die Hauptschule. Dabei war sie gleich intelligent wie ich, die Fleißigere, die Ordentlichere und sie konnte wunderbar zeichnen. Aber ich war eben das Bürgerkind, das aufs Gymnasium musste. Ich habe sie unterwegs verloren, aus Unachtsamkeit, wie viele Menschen und Dinge auch.
Sie hat den Kontakt gesucht und so freu ich mich auf das Treffen in der Stadt, in der ich jetzt schon mein halbes Leben verbracht habe. Unterwegs zur Eisdiele kommt mir immer wieder das kleine blonde Mädchen in den Sinn. Es wäre dumm, danach Ausschau zu halten nach all der Zeit. Und doch suche ich - dort angekommen - einen Blondschopf. Und dann blick ich plötzlich in andere suchende Augen. Da ist sie. Die Augen erkenne ich sofort. Wir sind sehr aufgeregt, alle beide. Ihr Mann ist dabei.
Während sie spricht kommt langsam das kleine blonde Mädchen wieder hervor. Es ist der Klang der Worte, auch wenn es die Stimme einer Frau ist, die Augen, die so oft, wenn sie etwas gesagt hat, Kontakt suchen, wie um sich das Verstehen bestätigen zu lassen. Das war früher auch so. Die Hände, die sie therapeutisch nützt. Shiatsu hat sie gelernt – wie mein Mann. Das freut mich. Sie auch, seh ich, denn sie lächelt. Winzige Indizien der Vertrautheit. Manchmal erahnen wir zwischen den Worten die Kindergeheimnisse von einst.
Und plötzlich weiß ich wieder, dass sie die einzige Vertraute war in meinem Kleinmädchenschmerz, dass sie viel gewusst hat und immer da war. Habe ich mich zuerst nur an ihre Ängste und ihr Kinderleid erinnert, weiß ich jetzt, dass sie auch meines mitgetragen hat. Dass jede den Schmerz der anderen spürte. Es tut mir so leid, dass ich sie verloren hab.
Ich bin so froh, dass sie mich wieder gefunden hat.

Sie hatte lange blonde Haare, einen dicken Zopf, der sogar über ihren Popo hinunter hing. Die Haare waren sehr schwer, hat sie mir einmal erzählt, vor allem, wenn sie sie wusch und das war auch sehr mühsam. Sie durfte sie nicht schneiden lassen. Wegen ihres Vaters. Der war streng und manchmal kam auch der Teppichpragger zum Einsatz. Meine Mutter hat eher mit der Hand zugeschlagen. Und sich nachher entschuldigt.
All das fällt mir ein, als ich mich mit der Freundin treffe. Zwanzig Jahre haben wir uns nicht gesehen. Und haben uns lange vorher schon verloren. Wir haben verschiedene Volksschulen besucht und schließlich kam ich ins Gymnasium und sie in die Hauptschule. Dabei war sie gleich intelligent wie ich, die Fleißigere, die Ordentlichere und sie konnte wunderbar zeichnen. Aber ich war eben das Bürgerkind, das aufs Gymnasium musste. Ich habe sie unterwegs verloren, aus Unachtsamkeit, wie viele Menschen und Dinge auch.
Sie hat den Kontakt gesucht und so freu ich mich auf das Treffen in der Stadt, in der ich jetzt schon mein halbes Leben verbracht habe. Unterwegs zur Eisdiele kommt mir immer wieder das kleine blonde Mädchen in den Sinn. Es wäre dumm, danach Ausschau zu halten nach all der Zeit. Und doch suche ich - dort angekommen - einen Blondschopf. Und dann blick ich plötzlich in andere suchende Augen. Da ist sie. Die Augen erkenne ich sofort. Wir sind sehr aufgeregt, alle beide. Ihr Mann ist dabei.
Während sie spricht kommt langsam das kleine blonde Mädchen wieder hervor. Es ist der Klang der Worte, auch wenn es die Stimme einer Frau ist, die Augen, die so oft, wenn sie etwas gesagt hat, Kontakt suchen, wie um sich das Verstehen bestätigen zu lassen. Das war früher auch so. Die Hände, die sie therapeutisch nützt. Shiatsu hat sie gelernt – wie mein Mann. Das freut mich. Sie auch, seh ich, denn sie lächelt. Winzige Indizien der Vertrautheit. Manchmal erahnen wir zwischen den Worten die Kindergeheimnisse von einst.
Und plötzlich weiß ich wieder, dass sie die einzige Vertraute war in meinem Kleinmädchenschmerz, dass sie viel gewusst hat und immer da war. Habe ich mich zuerst nur an ihre Ängste und ihr Kinderleid erinnert, weiß ich jetzt, dass sie auch meines mitgetragen hat. Dass jede den Schmerz der anderen spürte. Es tut mir so leid, dass ich sie verloren hab.
Ich bin so froh, dass sie mich wieder gefunden hat.

katiza - 16. Mai, 07:52
10 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
959 mal erzählt