Mahler 2
Ich bin mit Büchern aufgewachsen. Und mit Schlagern. Die Singles meiner Mutter in kleinen bunten Büchern, ganz fünfziger Jahre Design, sauber gebündelt. Unten links in dem Kasten mit dem Radio. "Il Pullover" und "Are you lonesome tonight". Paul Anka - mit Autogramm - "Diana". "Peter und der Wolf" hatte ich und "Der kleine Mozart". Ich las viel über Mozart. Eine "richtige" Mozart-Schallplatte hatten wir nicht zuhause, überhaupt wenig Klassik. Aufnahmen des ORF-Symphonieorchesters und schwere Schachteln mit Kutschenbildern. Darin dicke Schallplatten. Nie gespielt. Trotzdem – und obwohl ich einfach unmusikalisch bin - konnte nie auch nur Hänschen klein richtig singen und blieb im Blockflötenunterricht ein Jahr lang bei drei Liedern - habe ich mit zehn Jahren eine Zeit lang komponiert. In Notenhefte habe ich ganze Viertel- und Achtelnoten gemalt, unter der Bank, im Mathematikunterricht. Mozart eben.
Einmal als ich ganz frisch in Wien war, lernte ich eine musikalische Mutter und deren Tochter kennen. Beim Spazierengehen in der Hagenbach-Klamm. Die Mutter war geschieden, verbittert und lebenshungrig zugleich. Die Tochter war ein Geigenwunderkind. Elfenhaft, dünn, zart und scheu. Vier Jahre jünger als ich, noch ganz Kind. Die Mutter wollte wohl, dass ich ihr ein bisschen das Leben zeige, erzähle. Die Tochter hat mir Klassik vorgespielt. An einem verwunschenen Nachmittag mit warmem Licht in einer edlen Dachwohnung am Schwedenplatz hat sie mich die Unterschiede verschiedener Dirigenten hören lassen. Und ich konnte ein bisschen erahnen.
Natürlich gab es in meiner Studentenwohnung auch Schallplatten mit Rachmaninov in Budapest gekauft und Strawinskis "Le sacre du printemps". Und da war auch die sonnige Freundin, die für die Gärtnerlehre die Klavierkarriere aufgegeben hatte. Ihr Lehrer wollte sie nicht mehr unterrichten – Feuerdorn und Debussy gingen nicht zusammen. Frühstück mit Vivaldis "Vier Jahreszeiten". Dann wieder Jazz. Und Rock.
All diese Erinnerungen machen mich ein wenig hilflos auf den guten Plätzen im großen Saal des Wiener Musikvereins. Die Kontaktlinsen tun weh – dabei kann ich doch so viel besser sehen als hören. Über Welser-Möst und das Cleveland Orchestra habe ich gelesen, über Mahlers 2. Symphonie auch. Die Musik glänzt von Anfang an, golden wie der Saal, widergespiegelt von den Menschen in ihrer Ehrfurcht. Ich schließ die Augen, die entfernteren Melodien entführen mich, die großen schmerzgezeichneten holen mich zurück. Eine Totenfeier, erinnere ich mich, stand irgendwo. Die Bilder in meinem Kopf verraten nichts davon, sie strotzen vor Leben. Wenn ich die Augen offen habe, sehe ich das Orchester, so viele Menschen, die zusammen klingen und sich dabei selbst im Ganzen wahrnehmen. Die Wogen der Bewegung. Ein Geben, ein Nehmen, ein großer Atem, dem Malin Hartelius und Bernarda Fink schließlich Stimme leihen.
Alt:
O glaube, mein Herz! O glaube:
Es geht dir nichts verloren!
Dein ist, ja Dein, was du gesehnt,
Dein, was du geliebt, was du gestritten!
Sopran:
O glaube: Du wardst nicht umsonst geboren!
Hast nicht umsonst gelebt, gelitten!
Chor:
Was entstanden ist, das muss vergehen!
Was vergangen, auferstehen!
Die Musik erfasst mich, erhebt mich, umfängt mich, dringt ein und lässt mich schließlich erfüllt zurück. Und doch macht sie mich auch ein wenig hilflos, ein bisschen scheu. Ich weiß doch nicht recht, wie ich hören soll, was mit meinen Bildern ist, erlaubt, verboten? Muss ich verstehen? Wie viel muss ich wissen? Wie viel darf ich wissen? Bin doch nur fremd hier, aber eben nicht ahnungslos.
Erst beim Schlussapplaus, seh ich die Freundin im Chor. Zwischendurch hatte ich vergessen, sie zu suchen. Golden schimmert ihr Haar in all dem Gold. In der Imperial-Bar fügt sie meinem Bilderkaleidoskop ein weiteres dazu.
Dann ein Festmahl mit den Freunden. Herr Sauer tischt auf. Und auch von den Weinen lassen wir uns überraschen. Meine Welt des Schmeckens, Riechens, der Menschen. Und in mir klingt es bis jetzt.
Einmal als ich ganz frisch in Wien war, lernte ich eine musikalische Mutter und deren Tochter kennen. Beim Spazierengehen in der Hagenbach-Klamm. Die Mutter war geschieden, verbittert und lebenshungrig zugleich. Die Tochter war ein Geigenwunderkind. Elfenhaft, dünn, zart und scheu. Vier Jahre jünger als ich, noch ganz Kind. Die Mutter wollte wohl, dass ich ihr ein bisschen das Leben zeige, erzähle. Die Tochter hat mir Klassik vorgespielt. An einem verwunschenen Nachmittag mit warmem Licht in einer edlen Dachwohnung am Schwedenplatz hat sie mich die Unterschiede verschiedener Dirigenten hören lassen. Und ich konnte ein bisschen erahnen.
Natürlich gab es in meiner Studentenwohnung auch Schallplatten mit Rachmaninov in Budapest gekauft und Strawinskis "Le sacre du printemps". Und da war auch die sonnige Freundin, die für die Gärtnerlehre die Klavierkarriere aufgegeben hatte. Ihr Lehrer wollte sie nicht mehr unterrichten – Feuerdorn und Debussy gingen nicht zusammen. Frühstück mit Vivaldis "Vier Jahreszeiten". Dann wieder Jazz. Und Rock.
All diese Erinnerungen machen mich ein wenig hilflos auf den guten Plätzen im großen Saal des Wiener Musikvereins. Die Kontaktlinsen tun weh – dabei kann ich doch so viel besser sehen als hören. Über Welser-Möst und das Cleveland Orchestra habe ich gelesen, über Mahlers 2. Symphonie auch. Die Musik glänzt von Anfang an, golden wie der Saal, widergespiegelt von den Menschen in ihrer Ehrfurcht. Ich schließ die Augen, die entfernteren Melodien entführen mich, die großen schmerzgezeichneten holen mich zurück. Eine Totenfeier, erinnere ich mich, stand irgendwo. Die Bilder in meinem Kopf verraten nichts davon, sie strotzen vor Leben. Wenn ich die Augen offen habe, sehe ich das Orchester, so viele Menschen, die zusammen klingen und sich dabei selbst im Ganzen wahrnehmen. Die Wogen der Bewegung. Ein Geben, ein Nehmen, ein großer Atem, dem Malin Hartelius und Bernarda Fink schließlich Stimme leihen.
Alt:
O glaube, mein Herz! O glaube:
Es geht dir nichts verloren!
Dein ist, ja Dein, was du gesehnt,
Dein, was du geliebt, was du gestritten!
Sopran:
O glaube: Du wardst nicht umsonst geboren!
Hast nicht umsonst gelebt, gelitten!
Chor:
Was entstanden ist, das muss vergehen!
Was vergangen, auferstehen!
Die Musik erfasst mich, erhebt mich, umfängt mich, dringt ein und lässt mich schließlich erfüllt zurück. Und doch macht sie mich auch ein wenig hilflos, ein bisschen scheu. Ich weiß doch nicht recht, wie ich hören soll, was mit meinen Bildern ist, erlaubt, verboten? Muss ich verstehen? Wie viel muss ich wissen? Wie viel darf ich wissen? Bin doch nur fremd hier, aber eben nicht ahnungslos.
Erst beim Schlussapplaus, seh ich die Freundin im Chor. Zwischendurch hatte ich vergessen, sie zu suchen. Golden schimmert ihr Haar in all dem Gold. In der Imperial-Bar fügt sie meinem Bilderkaleidoskop ein weiteres dazu.
Dann ein Festmahl mit den Freunden. Herr Sauer tischt auf. Und auch von den Weinen lassen wir uns überraschen. Meine Welt des Schmeckens, Riechens, der Menschen. Und in mir klingt es bis jetzt.
katiza - 3. Nov, 11:42
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